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Urlaub am Meer: Was bedeuten diese kleinen Plastik-Rädchen?

Urlaub am Meer: Was bedeuten diese kleinen Plastik-Rädchen?

White Waves Mittelmeer - Reisemagazin Bravebird

Mein Interesse an interessanten Dokumentationen und Reportagen über Plastikmüll und Umweltprobleme führte mich vor einiger Zeit zu dem mehrfach preisgekrönten Dokumentarfilm »White Waves«. Diese kleinen Plastik-Rädchen waren mir an Stränden bisher noch nie aufgefallen und mir war auch nicht bekannt, dass es an manchen Stränden in Europa zum Teil erhebliche Gesundheitsrisiken geben kann.

Die im Film gezeigte Mischung aus einerseits wunderschöner Natur, der Liebe zum Meer und andererseits den gravierenden Schäden, die Industrie und Plastik in der Natur anrichten, hat mich bis heute nicht losgelassen. Erst recht nicht, seitdem ich Ende letzten Jahres dann selbst auf meiner Tour durch Italien an sämtlichen Stränden in der Toskana, auf Ischia und in Apulien diese kleinen Plastikteile am Strand fand.

Inka Reichert - Regisseurin von White Waves - Reisemagazin Bravebird
Die Regisseurin des Films: Inka Reichert (© Foto: Inka Reichert)

Wie es begann: Dem Surfer François Verdet der Organisation Surfrider Foundation Europa fielen bereits 2009 die großen Mengen kleiner Plastikringe an der Westküste Frankreichs auf. Er begab sich auf die Suche nach der Herkunft dieser ominösen Teilchen und es stellte sich heraus, dass sie schon an vielen anderen Stränden in Europa aufgetaucht waren: in Spanien, Italien, Monaco.

Nach einiger Recherche fanden die Mitglieder der Organisation heraus, dass es um viel mehr geht als „nur“ um die Millionen von Plastikrädchen im Meer und an den Stränden Europas…

Wie der Film entstand: Die Wissenschaftsjournalistin Inka Reichert zog 2012 nach Spanien, um dem Meer ganz nahe zu sein. So konnte sie auch ihrer großen Leidenschaft, dem Wellenreiten, nachgehen. Gemeinsam mit dem Team von White Waves ging sie zwei Jahre lang auf Recherche in Europa, um in diesem Dokumentarfilm ein Thema der Meeresverschmutzung aufzuzeigen, das bislang weitgehend unbekannt war – und leider immer noch ist. Um unabhängig in der Darstellung zu sein, entschied sie sich für die Finanzierung per Crowdfunding.

White Waves Dokumentarfilm Meeresverschmutzung - Reisemagazin Bravebird
Hunderte Plastikrädchen am Strand (© Foto White Waves)

Woher kommen nun diese Plastikrädchen?

Darauf würde man selbst wahrscheinlich nie kommen: aus Kläranlagen! Früher verwendete man für die Wasseraufbereitung Vulkangestein, an dem sich die Bakterien fixieren konnten. Das Gestein hat viele kleine Löcher und somit eine große Oberfläche, auf die sich die Bakterien setzen können. Der Trick: Bakterien arbeiten in diesem Bakterienfilm effizienter und zersetzen schneller organisches Material, reinigen also schneller das Wasser.

In kleineren Becken kann man so größerer Wassermengen säubern. Als das populärer wurde und Vulkangestein nicht einfach zu bekommen war, fing man an Plastik zu verwenden. Mehrere tausend Stück dieser sogenannten Filtermedien kommen in ein Becken und die Bakterien fixieren sich daran. In einem Becken können bis zu einer Million Filtermedien sein.

Wie gelangen die Filtermedien ins Meer?

„Jedes Mal, wenn es stark regnet, laufen die Kläranlagen über. Die Kläranlagen funktionieren dann nicht mehr, also machen sie die Leitungen auf und alles geht ins Meer.“, sagt Óscar García der Organisation Coge3. „Und manchmal stinkt der Neoprenanzug nach Kacke. Denn wir surfen genau dort, wo der Abfluss der Kläranlage ist. Das passiert nicht nur hier, sondern überall.“

Filtermedien Plastikrädchen - change.org
Filtermedien in Charlottenlund, Dänemark (© Foto: Change.org)

Auch in Dänemark und sogar am Genfer See in der Schweiz wurden die Filtermedien gefunden. Sie kamen dort über durch die Schneeschmelze überlaufende Kläranlagen in nahegelegenen Bergdörfern in den See.

Filtermedien am Genfer See - Reisemagazin Bravebird
Filtermedien – gefunden am Genfer See (© Foto: Frank Odenthal)

Kläranlagen: Ein großes Problem für die Gesundheit von Mensch & Meer

Die Reise im Film führt weiter nach Großbritannien. Die Organisation Surfers against Sewage setzt sich seit Jahren gegen Umweltverschmutzung ein. Der Campaign Director Andy Cummins spricht von genau dem gleichen Problem, den sogenannten „Mischwasser-Überläufen“ in Kläranlagen! Hier wird ungeklärtes Abwasser während der Regenperioden oder bei Fehlfunktion der Anlagen direkt am Strand oder in der Nähe des Strands ins Meer geleitet.“, z. B. auch an einem der besten Surfspots in Cornwall.

Die Recherche zu den Plastikrädchen bzw. Filtermedien hat im Prinzip ein noch viel größeres Problem aufgedeckt: ein großes Gesundheitsproblem. Nicht nur für uns Menschen, sondern auch für das Meer und seine Bewohner. Surfer berichteten über ständig wiederkehrende

  • Ohr-Infektionen
  • Magen-/Darm-Probleme
  • Atemwegs- und Bindehaut-Entzündungen
  • Hautirritationen,

nachdem sie im Wasser waren. Das Thema Antibiotika-resistente Bakterien wird im Film ebenfalls angesprochen. Auch wird gezeigt, wie nach der Explosion eines Schwarzlauge-Tanks die giftige und krebserregende Lauge über eine Abwasser-Pipeline an den Strand bei Arcachon ausgeleitet wurde.

Schwarzlauge bei La Salie 2012 - White Waves Dokumentarfilm
Einen Monat lang durften die Menschen hier am Strand von La Salie durch die Einleitung von giftiger Schwarzlauge in den Atlantik nicht ins Wasser. (© Foto: Inka Reichert, White Waves)

Aber ich sage Ihnen etwas – und das gilt nicht nur für die Kläranlagen in Frankreich und Navarra, sondern auch für Europa und für die ganze Welt: Wir wissen nicht, welchen Effekt die Mikroschadstoffe in den Abwässern auf die Haut und die Gesundheit haben.

Sabine Jeandenand, Bassin d’Arcachon SIBA

Ist das alles wirklich Realität?

Eine Dokumentation ist erstmal eine Dokumentation, dachte ich mir. Dennoch fuhr ich Ende letzten Jahres mit meinem durch den Film geschärften Bewusstsein durch Italien und war überrascht. Hier konnte ich z. B. auf der Insel Ischia mit eigenen Augen sehen, wie Abwässer bei starkem Regen direkt ins Meer gelangen.

Ischia Wasserüberlauf Abwässer - Reisemagazin Bravebird
1.) Starker Regen drückt das (Ab-) Wasser nach oben
Ischia Wasserüberlauf Abwässer - Reisemagazin Bravebird
2.) WC-Papier und andere Toilettenartikel liegen danach am Straßenrand und am Strand
Ischia Wasserüberlauf Abwässer - Reisemagazin Bravebird
3.) Abwässer, Toilettenpapier und andere Hygiene-Artikel werden so ins Meer geschwemmt
Filtermedien an Stränden - Reisemagazin Bravebird
Die Filtermedien habe ich dort auch gefunden

Dies sind Bilder von Ischia, wie du sie wahrscheinlich noch in keinem Reiseführer oder Blog gefunden hast. Natürlich ist es nicht im Interesse der Tourismus-Industrie, dass man als Gast annehmen könnte, inmitten von Abwässern und Kloake seinen Strandurlaub zu verbringen. Ich gehe wie viele der Protagonisten im Film davon aus, dass es an sehr vielen Stränden das gleiche Problem gibt. Auf Mallorca wird immerhin regelmäßig über das Fäkalien-Thema berichtet.

Wie dir diese Informationen helfen können

Ich möchte dir sagen, was dieser Dokumentarfilm in mir ausgelöst hat und warum ich ihn so besonders fand. Zunächst finde ich es beunruhigend, wie viele Dinge uns tagtäglich umgeben, von denen wir – aus welchen Gründen auch immer – keine Kenntnis erlangen. Daher imponiert mir die Initiative dieser vielen Menschen, die sich mit ihrer Liebe für die Natur und das Meer für die Umwelt einsetzen und wirklich unangenehme Wege gehen. Es ermutigt mich persönlich dazu, kritischere Beiträge zu schreiben.

Und ich wünsche mir für dich, dass dir dieser Artikel (und vielleicht der Film) ebenfalls ein schärferes Auge für deine Umgebung auf Reisen vermittelt. Wenn du diese Filtermedien am Strand finden solltest oder dir ein auffällig großes Sortiment an Hygiene-Artikeln im Plastikmüll auffällt, gehe dort besser nicht baden. Oder zumindest nicht, wenn es dort kürzlich geregnet hat; dies gilt besonders in Flussmündungs-Nähe.

Wenn du nach dem Baden Krankheitssymptome entwickelst, bedenke, dass sie durch das Meerwasser bzw. den Abwässern und Bakterien darin verursacht worden sein können.

Filterrädchen am Strand - White Waves - Reisemagazin Bravebird
© Foto: Inka Reichert, White Waves

Falls du auf deiner Reise Filterrädchen finden solltest, würde ich mich über einen Kommentar von dir über den Fundort freuen. Das interessiert mich sehr.

Zum Trailer

White Waves. Surfers Fighting Against Pollution in the Sea from WHITE WAVES on Vimeo.

Weitere informative Links:

Titelbild: © Inka Reichert

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Zeige Kommentare (12)
  • Liebe Ute,

    vielen Dank für diese wichtigen Informationen. Ich habe deinen Beitrag gleich mal in meinem Artikel zu den Stränden in Nizza verlinkt. Ehrlich gesagt, sind mir solche Plastikrädchen hier noch nicht aufgefallen. Ich werde aber in Zukunft ein Auge darauf werfen.

    Im Moment ist in Südfrankreich Hochsaison, was dazu führt, dass manche Strände völlig verdreckt sind. Es ist zum Heulen. Meine fünfjährige Tochter fischt ständig irgendwelches Plastik aus dem Meer und räumt den Strand auf. Die Kleinen werden hier sehr früh für das Problem sensibilisiert. Schon Vierjährige gehen im Rahmen eines Schulausfluges an den Strand, um Müll einzusammeln.

    Bei uns ist das Baden im Meer nach schweren Unwettern oft monatelang verboten oder es wird zumindest davon abgeraten. Vermutlich liegt das (auch) an den von dir beschriebenen überlaufenden Kläranlagen…

    Gestern haben sie hier in Nizza mehrere Strände gesperrt, nachdem man Ölspuren im Wasser gefunden hat.

    Liebe Grüße
    Felicitas

    • Liebe Felicitas,

      ach das gruselt mich… :( In der Dokumentation sagte einer der Surfer „Es scheint, je mehr man liest und man sich mit diesen Problemen beschäftigt, umso schlimmer werden sie.“ Genau diese Erfahrung habe ich auch gemacht und daher darf es eigentlich auch nicht verwundern, dass die meisten Menschen von diesen Themen und Problemen nichts wissen wollen. Obwohl es um unsere Gesundheit geht und um das, was uns umgibt.

      Ja halte doch bitte mal Ausschau nach den Rädchen, würde mich auf jeden Fall interessieren! Mir wären sie vorher nie aufgefallen.

      Ich wünsche dir noch eine schöne Zeit in Frankreich, ich finde deine Beiträge richtig klasse!

      Viele liebe Grüße aus heute 37 Grad Köln
      Ute

    • Hier war eigentlich damit gemeint, dass je mehr man sich mit etwas beschäftigt und je tiefer man in die Materie geht, umso gravierender sind die Auswirkungen und Probleme, die dahinter stecken.

  • Auf Korsika sind die kleinen Plastik-Rädchen auch zu finden. Mir sind diese bereits vor 3 Jahren immer wieder aufgefallen.

  • Liebe Ute,
    an den Stränden von Korsika waren diese Rädchen Mitte September häufig zu finden. Vor allem an den Stränden, welche Richtung Italien liegen. Wir wussten nicht, was diese Rädchen sein könnten und gingen davon aus, dass irgendwo ein Container mit Plastik-Filtern für Aquarien oder ähnliches im Meer versunken sein müsste. Es ist so traurig wie wir mit unserer Welt umgehen, kaum zu glauben. Danke für diesen Beitrag.

    • Liebe Hannah,
      mit der Traurigkeit geht es mir genauso wie dir. Man ist so hilflos… Wahnsinn aber, dass es dir aufgefallen ist!
      Ganz liebe Grüße!
      Ute

  • Auch ich kann von Korsika (Ostküste südlich von Bastia) berichten, wir waren heute im Familienurlaub zum Plastiksammeln am Strand (ich hab als Kind ja noch Muscheln gesammelt), haben ca 150-200 dieser Rädchen gesammelt. Danke für den Hintergrund – wirklich traurig!

    • Hallo liebe Sybille,
      oh Mann, das ist wirklich traurig. Schön, dass ihr hierher gefunden habt.
      Wünsche euch noch einen schönen Urlaub!
      Liebe Grüße
      Ute

  • Plastikmüll, ganz egal woher er kommt, hat im Meer nichts zu suchen. Desto bedauerlicher, wenn gerade aus Kläranlagen solcher Plastikmüll in die Ozeane gelangt. Das sollte man – wie auch immer – verhindern. Im 21.Jahrhundert sollte das möglich sein. Und jeder, der eine Plastikflasche ins Meer schmeißt, sollte darüber nachdenken, dass er selbst später beim nächsten Fischfilet ein Stückchen vom Plastik wieder mitisst….

  • Wir haben heute auch etliche dieser Plastikrädchen beim Strandspaziergang südlich des Campingplatzes San Damiano (südlich von Bastia) entdeckt und sind bei der Recherche auf den Artikel gestoßen.

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