In der Ausgabe des ZDF Magazin Royale vom 17. Oktober scheint Jan Böhmermann den absurden Kontrast zwischen Luxusverhalten und Klimakrise satirisch aufgreifen zu wollen: Reiche Menschen, die vom Aussterben bedrohte Austern schlürfen, während die Meere kippen. Ich warte auf den satirischen Twist, doch er kommt nicht. Statt eines kritischen Bruchs entwickelt sich die Sendung zu einem ernst gemeinten Plädoyer für mehr Austernkonsum als Beitrag zum Umweltschutz:
»Die Auster muss die neue Kartoffel werden.«
Ein Format, das sonst gesellschaftliche Missstände aufgreift und sich auf der Seite der Guten sieht, präsentiert hier feierlich die Nutzung eines Meerestiers als Lösung für unsere Umweltprobleme. Das Ergebnis ist ein widersprüchliches Bild: Statt aufzuklären, wird ein Konsumnarrativ weitergetragen, das Ausbeutung normalisiert und ethische Fragen ausblendet. Gerade deshalb lohnt es sich meiner Meinung nach, genauer hinzusehen, was gezeigt und was verschwiegen wird.
Austern als Umweltlösung – Die Argumentation
Die zentrale Message der Sendung ist der Appell, die Auster gesellschaftlich und politisch aufzuwerten. Nicht etwa durch Schutzmaßnahmen, sondern durch ihre massenhafte Vermarktung. Jan Böhmermann fordert, sie künftig wie normale Lebensmittel nur mit 7 % statt 19 % Mehrwertsteuer zu belegen. Der Grund: Früher sei sie ein bürgerliches Grundnahrungsmittel gewesen und müsse wieder erschwinglich werden.
Das Publikum bekommt eine einfache Erzählung präsentiert: Das vom Klimawandel bedrohte Tier könne gerade deshalb Teil der Lösung sein. Austernbänke würden Wasser filtern und die Meere sauber halten. Je mehr Austern gezüchtet würden, desto stärker profitiere die Umwelt. Um diesen Effekt zu vergrößern, müsse die Nachfrage steigen, und zwar durch mehr Konsum.

Die Botschaft lautet demnach: Konsum = Klimaschutz. Die Auster wird zur ökologischen Dienstleisterin stilisiert, zu einem vermeintlich unverzichtbaren Grundnahrungsmittel der Zukunft. Sogar der menschliche Verdauungstrakt wird rhetorisch aufgerüstet und zum Instrument im Kampf gegen den Klimawandel erklärt. Am Ende der Sendung heißt es: „Heute ändern wir die Welt“, und das Publikum bekommt Austern serviert. Begeisterter Applaus.
Was ausgeblendet wird – und warum das problematisch ist
Die Satire-Sendung inszeniert die Auster an diesem Abend als kleine Wunderwaffe gegen den Klimawandel. Weder die ethische Dimension noch ökologische Nebenwirkungen oder die dahinterliegende Logik werden hinterfragt. Sechs Aspekte, die mir aufgefallen sind:
1. Verwerten statt schützen: Die Auster als Lösung
Zunächst wird die Auster als Leidtragende ökologischer Veränderungen vorgestellt. Gleichzeitig soll sie Teil der Lösung sein und zwar als Filterorganismus, der die Wasserqualität verbessert. Die Idee laut Jan Böhmermann: Mehr Austern züchten und mehr Austern essen, um so die Umwelt zu entlasten.
Der traurige Beigeschmack: Wenn wir anfangen, für unser Ökosystem zentrale Arten gezielt zu vermehren, nicht um sie zu schützen, sondern um sie zu nutzen, zu verwerten oder zu essen, zeigt das kein ökologisches Umdenken, sondern die Fortsetzung genau jener Logik, die das Problem überhaupt erst geschaffen hat. Und es macht leider deutlich, wie kaputt unser Verhältnis zur Natur mittlerweile geworden ist.

2. Die Auster als Tier Produkt
Die Auster bleibt im Magazin Royale ein abstraktes Konsumprodukt irgendwo zwischen Lebensmittel, Filteranlage und „Heldin in Perlmutt“. Im Youtube-Beitrag wird sie scherzhaft als „Bonzen-Bifi“ bezeichnet. Dass sie ein Tier ist, das lebt, Reize wahrnimmt und vom Menschen getötet wird, bleibt unerwähnt. Stattdessen wird sie zur funktionalen Ressource erklärt, die man nun zwingend in großen Mengen züchten, vermarkten und konsumieren sollte.
Dabei sprechen verschiedene wissenschaftliche Studien dafür, dass Muscheln, und damit auch Austern, durchaus auf schädliche Reize reagieren. Sie zeigen Abwehrverhalten, schließen sich bei Gefahr und reagieren auf Umweltveränderungen. Ob sie dabei Schmerzen im menschlichen Sinne empfinden, ist nicht abschließend geklärt. Doch gerade weil das nicht sicher ausgeschlossen werden kann, ist ihre industrielle Nutzung ethisch fragwürdig.
Wie Austern für den Verzehr getötet werden
Austern sind lebende Tiere und sterben meist erst unmittelbar vor dem Verzehr oder im menschlichen Verdauungstrakt. Die gängigen Methoden:
1. Aufbrechen der Schale
In den meisten Fällen wird die Auster lebendig geöffnet. Ein Messer wird zwischen die Schalen gedrückt und die Schließmuskeln durchtrennt. Das beschädigt innere Strukturen und führt zum Tod. Der Vorgang dauert mehrere Sekunden. Austern reagieren dabei mit Muskelzuckungen, was ein Hinweis auf Reizwahrnehmung darstellt.
2. Kochen oder Grillen
Bei bestimmten Zubereitungen werden Austern lebendig erhitzt. Sie sterben durch die Hitze und das nicht sofort, sondern schleichend.
3. Rohverzehr direkt nach dem Öffnen
Wird die Auster roh serviert, lebt sie beim Verzehr meist noch. Kurz vor dem Essen wird häufig Zitronensaft über das Tier geträufelt. Der Säurereiz kann Muskelzuckungen oder Reflexbewegungen auslösen; ein Hinweis darauf, dass der Organismus noch aktiv ist. Die Auster stirbt dann erst während des Verzehrs beziehungsweise im Verdauungstrakt.
3. Die Auster als Umweltlösung – mit Kollateralschäden
Laut Böhmermann werden Austern nachhaltig angebaut: Es werde kein Meer leergefischt, es gebe keinen Beifang und Tierschutzorganisationen hielten die Auswirkungen der Austernzucht auf das Ökosystem für gering. Damit entsteht das Bild eines nahezu perfekten Kreislaufs: einer Zucht, die nicht nur das Wasser reinigt, sondern auch noch weder schadet noch belastet. Diese romantisierte Darstellung zeigt jedoch nur einen Teil der Wahrheit.
Die verbreitete Pazifische Felsenauster gilt in Europa als invasive Art. Sie verdrängt heimische Muscheln, verändert Lebensräume und kann ganze Ökosysteme dominieren. (Quelle: WWF) Hinzu kommen Krankheiten und Parasiten, die sich in dichter Haltung schnell verbreiten. (Quelle) Und besonders in sensiblen Regionen wie dem Wattenmeer kann Austernzucht erhebliche ökologische Schäden anrichten. (Quelle) Der vermeintlich nachhaltige Ansatz birgt damit also genau jene Risiken, die er angeblich vermeiden soll.

4. Mit Essen die Welt retten?!
Die Show vermittelt die Idee, dass eine enorme Ausweitung der Austernzucht helfen könne, die Meere zu reinigen und damit das Klima zu schützen. Doch selbst wenn Austern lokal Wasser filtern, ändert das nichts an den Ursachen der Klimakrise. Es reicht nicht, das Wasser etwas sauberer zu halten, wenn sich die zugrunde liegenden Probleme wie Erderwärmung, Verschmutzung und Übernutzung kein Stück verringern.
Trotz jahrelanger Klimaaufklärung hält sich offenbar selbst hier der Glaube, man könne durch individuellen Konsum globale Entwicklungen wesentlich beeinflussen. Solche Vorstellungen geben ein Gefühl von Handlungsfähigkeit, verschleiern aber, dass echte Lösungen strukturelle Veränderungen erfordern. Der Gedanke, man könne das Klima durch Kaufentscheidungen retten, ist daher nicht nur naiv, sondern lenkt vom eigentlichen Problem ab.
5. Wenn Aufmerksamkeit für Knappheit sorgt
Eine Auster braucht Jahre, um heranzuwachsen. 4 Jahre, in der sie für uns „ihren Job machen kann“, wie Jan Böhmermann selbst in der Sendung erwähnt. Wenn die mediale Aufmerksamkeit solch einer Sendung nun den Konsum anregen würde, wovon mit ihrer Reichweite leider auszugehen ist, führt das genau jetzt nicht zur Entlastung der Meere, sondern zu einer Verknappung von Austern-Beständen.
Eine höhere Nachfrage würde zunächst mehr Druck auf bestehende Bestände und auf die Zucht haben, mit möglichen Folgen wie Überfischung, Ausweitung von Aquakulturen und zusätzlichem Tierleid. Statt zur Lösung ökologischer Probleme beizutragen, könnte die neu geweckte Begeisterung für Austern also genau das Gegenteil bewirken: ein noch exklusiveres Luxusprodukt, das knapper, teurer und durch den Verlust der Austernpopulation noch problematischer für die Umwelt wird.

6. Austern – Der „Happy Snack“ für gesunde Meere?
Austern schlürfen und dabei auch noch etwas Gutes für die Umwelt tun klingt nach einer echten Win-Win-Situation, oder? Dass sie im Meer als natürliche Filter leben, wird zwar erwähnt, aber es wird nicht thematisiert, was das eigentlich bedeutet. Austern reinigen Wasser, indem sie alles aufnehmen, was darin treibt, und zwar auch das, was dort eigentlich nicht hingehört.
Sie reichern beim Filterprozess Schadstoffe, Mikroplastik, Schwermetalle und Bakterien an, nicht unwahrscheinlich sind auch Blei, Cadmium und Quecksilber neben den Krankheitserregern Vibrionen und Noroviren. Fast schon amüsant: Die menschliche Umweltverschmutzung landet am Ende wieder auf unserem Teller.
Fazit: Endlich dürfen Tiere wieder mit gutem Gewissen für uns sterben
Was mich an dieser Vorstellung am meisten irritiert hat, ist nicht die Absurdität der Idee, ein vom Aussterben bedrohtes Tier massenhaft vermehren und essen zu wollen. Es ist die Tatsache, dass so etwas ohne jede kritische Einordnung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk laufen kann. Mit einem großen Team im Hintergrund, das diese Werbeveranstaltung für die Austernindustrie mitträgt.
Gleichzeitig ist es die Selbstverständlichkeit, mit der die Ausbeutung von Tieren nicht nur glorifiziert, sondern zum vermeintlichen Akt der Weltrettung stilisiert wird. Und es ist ein riesiges Publikum, das applaudiert, liked und konsumiert, ohne zu hinterfragen.
Sendungen wie diese sind Ausdruck eines befremdlichen Trends, der vieles schlechter statt besser macht: der Überzeugung, man könne durch Konsum etwas Gutes tun, selbst wenn die Realität eine völlig andere ist. Jetzt könnte man sagen: Okay, das war eben mal ne schlechte Folge, was soll’s. Ja stimmt, bis auf die Tatsache, dass nun Hunderttausende Menschen abgespeichert haben, dass Austernessen eine gute Sache ist. Vielen Dank dafür!








Oh wow, Danke für die Infos. Ich wusste bis eben nicht, dass Austern lebendig gegessen werden… und Wahnsinn, wieviel Zeit du dir für diese Aufklärung nimmst und nicht müde wirst. LG Astrid
Ich habe jetzt mal in die YouTube-Kommentarspalte geschaut und da sind die allermeisten Kommentare kritisch bis negativ. Viele weisen auf die Abwasser-Problematik, diese invasive Art und ethische Bedenken hin. Positive Kommentare musste ich eher mit der Lupe suchen. Ich kann leider nicht sehen, wie viele „Daumen runter“ vergeben wurden (da muss man irgendwas extra installieren, glaub ich), aber ich würde mal sagen, die Folge war ein Griff ins Klo.
Selber anschauen werde ich mir die Folge nicht, Jan Bömermann löst bei mir eine Mischung aus Migräne und Krämpfen aus. Ich finde den wirklich unangenehm. Dass man sich als „irgendwie links“ versteht, gibt einem nicht das Recht, sich empathiefrei zu verhalten. Mittlerweile gab es einfach zu viele haarsträubende Folgen, die schlecht recherchiert waren oder bewusst auf Rufmord hingearbeitet haben. Es bestätigt leider viele Vorurteile über den ÖRR, das die Redaktion und die Verantwortlichen beim ZDF nach wie vor hinter ihm stehen.