Die letzten Jahre waren eine Zeit großer Veränderungen – in der Welt, in der Gesellschaft, aber auch ganz persönlich. Meine langjährige Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeit und bewusstem Leben hat diese Zeit zu einer Phase ständiger Anpassung gemacht. Jede neue Information und jede neue Entwicklung hat meine Sichtweise immer wieder ein wenig verändert.
Die letzten Monate haben das noch einmal intensiviert. Eine Mischung aus äußeren Ereignissen und persönlichen Erfahrungen hat dazu geführt, dass ich vieles hinterfragt habe – auch Überzeugungen, die ich lange als selbstverständlich angesehen habe. Inzwischen sehe ich viele Themen anders als früher, darunter auch die Nachhaltigkeit. Was zunächst wie ein klares, ebenso notwendiges wie sinnvolles Ziel schien, hat sich für mich zu einem komplexen, aber auch ernüchternden Bild gewandelt.
Zwischen Wunsch und Wirklichkeit
Nachhaltigkeit bedeutete für mich lange Zeit Verantwortung und Anpassung. Überzeugt von der Dringlichkeit habe ich zahllose Artikel verfasst, problematische Trends hinterfragt und unzählige Stunden unentgeltlich investiert, um Menschen zu inspirieren. Doch je intensiver ich mich damit auseinandergesetzt habe, desto deutlicher wurde: Veränderung ist eine unglaubliche Herausforderung, die oft mehr Rückschritte als Fortschritte mit sich bringt.
Die Unterstützung für Parteien, die Klima- und Umweltschutz ablehnen, wächst beispielsweise gerade weltweit. Gleichzeitig stelle ich fest, dass viele Menschen sich immer weiter von der Natur entfernen. Und mittlerweile sind wir an einem Punkt angekommen, an dem das Thema Nachhaltigkeit für viele eher eine Belastung darstellt. Mit dieser Einsicht habe ich mich gefragt: Wie gehe ich damit um und wie passe ich meine eigene Haltung an diese Realität an?
Je mehr Druck auf Menschen ausgeübt wird, desto stärker neigen sie dazu, sich dagegen aufzulehnen – auch wenn das ihrem eigenen Wohl schadet.
– Verhaltenspsychologischer Grundsatz (Reaktanztheorie)
Die Grenzen individuellen Handelns
Lange Zeit war ich überzeugt davon, dass individuelles Handeln einen wesentlichen Unterschied machen kann. Ich habe meinen Lebensstil verändert, auf vieles verzichtet und andere ermutigt, ihr eigenes Verhalten zu hinterfragen. Doch inzwischen ist klar: Individuelles Handeln allein wird das große Ganze nicht verändern. Wenn ein vergleichsweise kleiner Kreis von Unternehmen für den Großteil der globalen CO₂-Emissionen verantwortlich ist, wird deutlich, dass weniger Konsum oder weniger Flüge das Problem nicht lösen können.
Je mehr über nachhaltiges Verhalten gesprochen wird, desto stärker scheint sich ein Teil der Gesellschaft in die entgegengesetzte Richtung zu bewegen: mehr Konsum, mehr Flüge, mehr Autos – und gleichzeitig leider auch mehr Ignoranz, Intoleranz und Gleichgültigkeit gegenüber den Konsequenzen. Selbst die spürbaren Auswirkungen des Klimawandels und die jährlich neuen Negativrekorde scheinen kein Umdenken zu bewirken. Stattdessen wächst die Ablehnung gegenüber notwendigen Veränderungen.
Menschen neigen dazu, gegen Einschränkungen zu rebellieren, besonders wenn sie das Gefühl haben, ihre Freiheit wird eingeschränkt. Je lauter die Forderungen nach Verzicht werden, desto größer scheint der Drang, genau das Gegenteil zu tun.
– Sozialpsychologische Erkenntnis zur Reaktanz-Theorie
Loslassen, was nicht funktioniert
Ich habe mich entschieden, die Last abzulegen: den Glauben und die Hoffnung, dass ich durch mein Verhalten eine spürbare Veränderung bewirken kann. Jahrelang wurde uns vermittelt, dass die Verantwortung für globale Probleme auf unseren Schultern liegt – oft verstärkt durch Werbebotschaften oder unrealistische Ideale. Aber die Last der vielfältigen Probleme können wir nicht allein tragen.
Daher richte ich meinen Blick jetzt wieder bewusst auf die vielen positiven Dinge auf dieser Welt, die in einer von Pessimismus geprägten Perspektive oft verloren gehen. Gleichzeitig bleibt die Zuversicht, dass technische Innovationen eines Tages einen entscheidenden Unterschied machen. Und ich denke auch, dass es in schwierigen, belastenden Zeiten zur Selbstfürsorge gehört, sich nicht von negativen Gedanken oder Katastrophisierung in Angst und Ohnmacht treiben zu lassen.
Ein Schritt nach vorne
Vielleicht lässt sich unsere aktuelle Lage mit einer Fahrt in einem Boot auf dem Fluss vergleichen: Wir wissen, dass da einige Stromschnellen vor uns liegen. Und daher macht es meiner Meinung nach Sinn, sich anzupassen: Helm aufsetzen, einen sicheren Platz einnehmen und mit beiden Beinen auf dem Boden stehen. Loslassen bedeutet für mich nicht aufzugeben, sondern den Blick auf das zu lenken, was jetzt wichtig ist bzw. wichtiger wird.
Nachhaltigkeit bleibt ein wichtiger Bestandteil, ist jedoch nicht mehr der Maßstab, an dem ich alles messe. Es geht aufgrund der oben beschriebenen Aspekte nur nicht mehr darum, den Fokus auf das Individuum zu legen oder andere zu einem anderen Verhalten zu bringen, das sie nicht wollen. Dieser Perspektivwechsel hat mir geholfen, den Druck loszulassen und wieder Raum für Leichtigkeit und Freude zu schaffen – ohne dabei das Wesentliche aus den Augen zu verlieren.
Was das alles mit Achtsamkeit zu tun hat und wie dieser Perspektivwechsel neue Türen öffnen kann, verrate ich in einem meiner nächsten Artikel.
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Hallo Ute, ich habe das Gefühl du drehst dich im Kreis. An dem Punkt der Nachhaltigsfrage warst du doch vor gut 5 Jahren schon einmal?!
Dieser Artikel thematisiert die Herausforderungen und Widersprüche der Nachhaltigkeit. Äußere Faktoren beeinflussen persönliche Entscheidungen und machen den Prozess extrem komplex. Während ein früherer Artikel den emotionalen Aspekt beleuchtete, stehen hier die äußeren Einflüsse und Entwicklungen im Mittelpunkt. Entscheidungen und Perspektiven verlaufen selten geradlinig und das offen anzusprechen ist wichtig – gerade weil solche Entwicklungen dann als „Kreisbewegung“ missverstanden werden. Tatsächlich handelt es sich um einen dynamischen Prozess, der sich kontinuierlich weiterentwickelt – auch morgen, übermorgen, im nächsten Jahr und im Jahr darauf. Viele erwarten heute einfache Antworten, aber gerade bei einem so umfassenden Thema sind diese nicht möglich.
Liebe Ute,
vielen Dank für die interessanten Gedanken. Auch wenn das, was du schreibst, nachvollziehbar ist, muss ich zugeben, dass ich mich unglaublich schwer damit tue, von dem Gedanken loszulassen, dass wir noch etwas ändern können. Es bricht mir das Herz zu sehen, wie sehr sich die Situation weltweit verschlechtert, sei es in den USA oder anderswo, und wie zerstörerisch wir mit unserer Lebensgrundlage umgehen. Ich folge auf Insta einem Account, der alle paar Tage die massiven Überschwemmungen in aller Welt zeigt, von denen wir in den Medien selten etwas mitbekommen, das macht einfach so hilflos. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass die Welt immer hasserfüllter und gewalttätiger wird, wie soll man es da schaffen, das Leben leicht zu nehmen.
Es stimmt zwar, man muss sich auch um sich selbst kümmern, um nicht daran zu zerbrechen, aber das ist leichter gesagt als getan. Du hast mich jedenfalls zum Nachdenken angeregt und würde mich freuen, mehr darüber zu hören o lesen.
Liebe Claudia,
vielen Dank für deinen Kommentar. Ich kann deine Gefühle so gut nachvollziehen… Dieser Zwiespalt zwischen Hoffnung und Ohnmacht ist etwas, das mich auch immer wieder beschäftigt. Es ist schwer, angesichts all der Entwicklungen im Moment nicht den Mut zu verlieren. Umso wichtiger finde ich den Austausch darüber, weil er zeigt, dass wir mit diesen Gedanken nicht allein sind.
LG, Ute
Puh, schon eine harte Erkenntnis irgendwie, aber vielleicht macht es wirklich Sinn, die Dinge offen auszusprechen und zu schauen, wie man selbst für sich das Beste draus machen kann. Das, was du an Inhalten teilst, ist sehr außergewöhnlich und bringt mich jedes Mal zum Nachdenken. Ich mache mir große Sorgen und bin für Inspiration gerade sehrdankbar. Danke für die Ehrlichkeit, auch wenn sie nicht so leicht zu verdauen ist. Viele Grüße
Liebe Carina, vielen Dank für dein ehrliches Feedback! Freut mich sehr, dass die Inhalte dich zum Nachdenken bringen – auch wenn es manchmal tatsächlich keine leichten Themen sind. Deine Sorgen kann ich absolut nachvollziehen und was ich so lese und höre, geht es derzeit vielen Menschen so. Viele Grüße zurück und Kopf hoch
Ute
Hallo Ute,
das, was du mit der Rebellion erwähnst, denke ich schon sehr lange. Im Grunde war es eigentlich abzusehen, dass all das nicht gut ankommen und damit funktionieren wird, denn die notwendigen Änderungen bedrohen am Ende das, was für viele Menschen Status und Alltag bedeutet. Fleisch, Milchprodukte, Auto, Fliegen, Konsum, Energie. Ich habe letztens gelesen, wie wichtig es jungen Männern vor allem wichtig ist, dass der Sprit günstig bleibt. Tja, was soll man da sagen. Menschen lernen eben auch nicht mehr, für andere mitzudenken, es geht nur um den eigenen Kosmos. Vielleicht hast du recht und man sollte aufgrund der Ausweglosigkeit auch dieses Denken annehmen, um es sich noch einigermaßen nett zu machen, solange es noch geht, und auf ein technologisches Wunder hoffen. Wer weiß.
Beste Grüße
Alex
Hallo Alex,
vielen Dank für deinen Kommentar und ja, diese Gedanken begleiten mich auch häufig. Für mich ist es tatsächlich jetzt erstmal der richtige Weg: Statt sich weiter in Frust über die Ausweglosigkeit zu verlieren, versuche ich, meine Energie auf das zu richten, was ich selbst beeinflussen kann, und den Rest loszulassen.
Das Loslassen ist und wird sicher nicht der einfach, aber ich glaube, dass er am Ende mehr Leichtigkeit bringt. Und wer weiß – vielleicht entstehen genau dadurch neue Ideen oder Perspektiven, die wir vorher nicht gesehen haben.
Viele Grüße!
Ute