Es begann im August 2021. Sieben junge Menschen traten kurz vor der Bundestagswahl über einen Zeitraum von mehreren Wochen in einen Hungerstreik, um mit verantwortlichen Politiker:innen über Sofortmaßnahmen gegen die Klimakrise zu diskutieren. Mit diesem Protest entstand die Gruppe aus Aktivist:innen namens ‚Letzte Generation‘.
Seitdem sind sie regelmäßig und prominent in den Schlagzeilen vertreten, wobei ihre provokativen Aktionen nicht nur die Gesellschaft bewegen, sondern auch den Medien als willkommener Anlass für wiederkehrende Empörungswellen mit hohen Klickraten und vollen Kommentarspalten dienen. Bis hierhin klingt das doch nach einem Win-Win für alle Beteiligten.
Die Fridays for Future-Bewegung war von Beginn an inspirierend, da sie auf friedliche Art die Auswirkungen des Klimawandels stärker ins Rampenlicht gerückt hat. Bei der ‚Letzten Generation‘ hingegen musste man zunächst skeptisch sein, ob ziviler Ungehorsam wirklich die gewünschten Ergebnisse erzielen kann.
Warum die Aktionen der ‚Letzten Generation‘ problematische Auswirkungen haben
Die nachfolgenden Punkte erläutern, wie sich die Kritik an den Aktionen der ‚Letzten Generation‘ herausgebildet hat:
1. Die Aktionen sind nicht gewaltfrei
Die Mitglieder der ‚Letzten Generation‘ betonen in Interviews stets, dass sie friedlich und eine gewaltfreie Bewegung seien – und das ist definitiv nicht richtig! Indem sie sich auf die Straße kleben und sich der Tatsache bewusst sind, dass gewalttätige Maßnahmen erforderlich sind (z. B. durch Polizei oder Feuerwehr), um sie von dort zu entfernen, tragen sie zur Entstehung von Gewaltsituationen bei.
Ihre Aktionen, bei denen sie unbeteiligte Menschen aufhalten oder blockieren, erzeugen seit Monaten erhebliche verbale Gewalt, Hass und Aggressionen. Sie setzen nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch das Leben anderer aufs Spiel – und all das hat immer (ob direkt oder indirekt) mit Gewalt zu tun. Das Besprühen von Gebäuden, Flugzeugen oder jüngst dem Brandenburger Tor stellt Vandalismus oder Sachbeschädigung dar. Es sind Straftaten. Und wer spendet, unterstützt Gewalt.
2. Es schadet der Klimabewegung
Ich werfe einfach einmal ein paar Zahlen in den Raum: Bei der Sonntagsfrage zum Deutschlandtrend (hier z. B. im Juli 2023) fallen die Grünen auf ein Tief von nur 13%, während die AfD besorgniserregende 20% erreicht. Im November 2021 lag dieser Wert noch bei 10%. Interessant in diesem Zusammenhang: die AfD ist die einzige Partei, die sich für ein Verbot der ‚Letzten Generation‘ ausgesprochen hat.
Obwohl diese Entwicklungen nicht zwangsläufig miteinander in Zusammenhang stehen müssen, ist es nicht allzu gewagt anzunehmen, dass einige aufgebrachte Bürger:innen in diesem Land von diesen Ereignissen beeinflusst werden und dazu neigen, eine Partei zu unterstützen, die sich gegen diesen anhaltenden ‚Wahnsinn‘ zur Wehr setzen möchte.
Das Gefährliche ist – so erlebe ich es in meinem Umkreis: Ich spreche mit meinem Onkel über eine Wärmepumpe. Dann kommt er mit den Klimaklebern und er vermischt das komplett. Und plötzlich ist die Wärmepumpe blöd, weil sich da Leute auf der Straße festkleben.
– Jule Zentek, Finanz- und Klima-Journalistin, in der Sendung Deutschland 3000
Wir brauchen jede Einzelne und jeden Einzelnen, die und der sich für mehr Klimaschutz und Demokratie einsetzt. Und es ist schwer, Menschen dafür zu begeistern (ich weiß, wovon ich rede). Wenn jedoch Menschen den wichtigen Klimaschutz hauptsächlich mit ’nervigen Klimaklebern‘ assoziieren, ist das maximal kontraproduktiv. Um nur einige nicht unwichtige Stimmen zu zitieren:
- Robert Habeck / Die Grünen: Die Aktivisten der Letzten Generation „schaden dem Anliegen Klimaschutz massiv“.
- Luisa Neubauer / Fridays for Future: „Politischer Wandel kommt nicht kategorisch schneller, indem man zu radikaleren Maßnahmen greift.“
- Mojib Latif / Klimaforscher: Nennt die Protestaktionen der Letzten Generation ein „No-Go“.
- 85% der Befragten einer SWR-Umfrage lehnen diese Protestform ab.
In einer Demokratie werden politische Entscheidungen am besten getroffen, wenn sie von einer großen Mehrheit der Bevölkerung unterstützt werden. Das bedeutet, dass politische Parteien und Regierungen bestrebt sind, Maßnahmen und Gesetze umzusetzen, die die Zustimmung vieler Menschen finden. Wenn der Trend sich allerdings wie oben beschrieben fortsetzt, sieht es mehr als düster aus mit dem Klimaschutz…
3. Sehr viel Geld sehr schlecht investiert
Die Bewegung der Letzten Generation hat lt. Stand Mai 2023 ca. 1.200 Mitglieder. Die Spenden-Einnahmen 2022 lagen lt. Interview mit t-online bei knapp über 900.000 Euro! Die Ausgaben betrugen etwa 535.000 Euro, davon lt. Transparenzbericht u. a. etwa eine Viertelmillion Euro für Mietkosten und ca. 150.000 Euro für Werbematerial- und Materialkosten.
Diese Zahlen in Kombination mit dem, was daraus gemacht wird, verwirren mich. Hey – Was kann man bitte mit fast einer Million Euro Tolles tun, um Klimaschutz zum zentralen Thema in Deutschland zu machen und maximale Aufmerksamkeit zu erregen? Man könnte zum Beispiel…
- die renommiertesten Werbe- und PR-Agenturen für die effektivsten, kreativsten Aktionen beauftragen
- Top-Werbetexter:innen einstellen, um treffende Botschaften zu verfassen
- fachkundige Jurist:innen für prägnante Aktionen beauftragen
- talentierte Ökonom:innen engagieren, die Vorschläge für politische Entscheidungen erarbeiten
- Unternehmensberater:innen einstellen, die sich um die perfekte Finanzplanung kümmern
- Psycholog:innen konsultieren, die für die besten Überzeugungs-Strategien beratend zur Seite stehen
- Journalistinnen und Journalisten beauftragen, insbesondere für investigative Recherche und Aufklärungsarbeit
- z. B. ganz Deutschland mit Plakatkampagnen ausstatten
- und und und…
… und somit unglaublich klug, intelligent, positiv aufregend und wirkungsvoll handeln, um Menschen zu mobilisieren und die politische Agenda zu beeinflussen. Auch die Medien reagieren sicherlich besser auf wirklich clevere Aktionen als auf Sachbeschädigung, die letztendlich nur Empörung und Unverständnis auslöst. Derzeit fließen Spendengelder in Wohnraum, Materialien, Bußgelder, Gerichtskosten, Proteste und z. B. umweltschädlichen Sekundenkleber.
4. Die Aktionen erreichen ihre Ziele nicht
Vermutlich bin ich nicht die Einzige, die die konkreten Forderungen der ‚Letzten Generation‘ trotz der lautstarken Proteste bislang nicht kannte. Angesichts der drastischen Aktionen erscheinen sie (Stand 09/2023) überraschend bescheiden: 1.) ein Tempolimit von 100 km/h, 2.) ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket und 3.) die Einrichtung eines Gesellschaftsrats, der u. a. das Ende des Verbrauchs fossiler Rohstoffe bis 2030 anstrebt.
Man könnte argumentieren, dass die Forderungen bewusst zurückhaltend sind vor dem Hintergrund, dass die Bundesregierung selbst kleinste Klimaschutz-Maßnahmen nicht umsetzen will. Aber sollte man hier nicht an den Punkt der Erkenntnis kommen, seine Strategie zu überdenken, wenn nach 1 ½ Jahren drastischer Aktionen kein nennenswerter Fortschritt erzielt wurde?
Bundeskanzler Scholz zeigt sich nach wie vor resistent gegen Kritik und präsentiert sich als Klimakanzler, während er gleichzeitig die ‚Letzte Generation‘ dafür kritisiert, keine Lösungen anzubieten. Spätestens jetzt müsste eigentlich klar sein, dass der Plan, politische Veränderungen durch Stör-Aktionen zu erpressen, nicht aufgeht. Deutschland verfügt wie erwähnt über viele kluge Köpfe, die mit innovativen Projekten und Ideen unterstützen könnten. An finanziellen Ressourcen mangelt es der ‚Letzten Generation‘ schließlich nicht.
5. Verbreitung von Angst ist nicht förderlich
Anlass für diesen Artikel gab mir der 6-teilige Podcast Hitze – Letzte Generation Close Up, in dem Gespräche und Aktionen von Mitgliedern vorgestellt werden. Die manchmal hintereinander geschnittenen Aussagen mancher Mitglieder, die nahezu gleichlautend und wie einstudiert die herannahende Katastrophe beschwören, wirken teilweise verstörend.
Die dramatische Rhetorik erzeugt zweifelsohne starke Emotionen wie Angst und Besorgnis, um Politikerinnen und Politiker zur Handlung zu bewegen. Diese Art der Kommunikation und Aktion der ‚Letzten Generation‘ beeinflusst jedoch nicht nur politische Akteure, sondern hat zwangsläufig auch erhebliche Auswirkungen auf die psychische Gesundheit junger Menschen.
Die steigenden Raten psychischer Erkrankungen bei Kindern und jungen Erwachsenen sind alarmierend und unterstreichen die Notwendigkeit eines verantwortungsbewussten und einfühlsamen Umgangs mit solchen Themen in der öffentlichen Kommunikation.
→ Tagesschau: Was die Krisen mit jungen Menschen machen (2022)
→ Tagesschau: Anteil der psychischen Erkrankungen bei Kindern steigt (2023)
Auch hier haben wir alle eine Verantwortung, darüber nachzudenken, wie wir über Krisen und Herausforderungen sprechen. Eine ausgewogenere Kommunikation, die nicht nur auf die Probleme hinweist, sondern auch Zuversicht und konkrete Lösungsansätze betont, kann dazu beitragen, die psychische Belastung zu reduzieren und jungen Menschen dabei zu helfen, mit den Herausforderungen der heutigen Zeit besser umzugehen.
Darüber hinaus ist es nunmal (leider) Fakt, dass der Klimawandel ein globales Problem ist. Selbst, wenn Deutschland ab morgen gar keine Emissionen mehr ausstoßen würde, würde dies den globalen Klimawandel nicht aufhalten. In dieser Hinsicht müssen wir das Ganze im Verhältnis sehen und uns darüber bewusst sein, dass uns Angst in erster Linie in eine destruktive Abwärtsspirale treibt.
6. Paradoxien und Kollateralschäden, die Fragen aufwerfen
Meine Gedanken der letzten Monate zur ‚Letzten Generation‘ gingen meist in die Richtung: „Ok, Sie sind noch jung und wer weiß, vielleicht hilft ihre Bewegung tatsächlich.“ Zum einen sind jedoch nicht alle Mitglieder dieser Gruppe so jung; zum anderen sind es intelligente Menschen, die Verantwortung für ihre Handlungen tragen. Was mich hier irritiert und kritisch stimmt:
- Schüsse, die nach hinten losgehen: Wenn ein an sich belangloser Flug zweier Aktivist:innen der Letzten Generation nach Bali oder Thailand derart dramatisiert wird, dass sämtliche Medien wochenlang skandalisierend über eine vermeintliche Doppelmoral sprechen, anstatt die Forderungen der LG zu thematisieren, müsste eigentlich deutlich werden, dass eine dringende Überprüfung der Medienprioritäten und -verantwortung sowie Pressearbeit erforderlich ist.
- Im Zeichen der Umwelt? Etwas, das ich überhaupt nicht nachvollziehen kann, ist die Tatsache, dass die meisten Aktionen der ‚Letzten Generation‘ allesamt umwelt- oder klimaschädlich sind: Sekundenkleber und Sprühfarbe gelten aufgrund ihrer chemischen Zusammensetzung als nicht umweltfreundlich; die Verwendung ist in der Regel ebenfalls umweltschädlich. Das spätere Entfernen mit Chemikalien mit jeder Menge Wasser auch nicht. Das Ausbessern der Löcher im Asphalt durch neuen Teer belastet Luft und Wasser. Die Autos, die in Stau versetzt werden, produzieren unendlich viele Gift- und Schadstoffe und tragen zur Luftverschmutzung bei. Unter sozialen Gesichtspunkten ist darüber hinaus das Mieten von Wohnraum (z. B. über AirBnb) ausgerechnet in Großstädten fragwürdig…
- Opfer, Retter, Helden? In Interviews mit Mitgliedern der ‚Letzten Generation‘ fällt auf, dass sie häufig betonen, sich für unsere Rettung zu ‚opfern‘, obwohl eine erhebliche Mehrheit der Bevölkerung diese Art der ‚Rettung‘ ablehnt. Gleichzeitig wundert es nicht, wenn sich Menschen durch einen scheinbar amüsierten Unterton in Interviews (wie kürzlich in WDR5 – Neugier genügt) durch den Mangel an Ernsthaftigkeit verhöhnt fühlen. „Wir nehmen hohe Gebühren, Straftatvorwürfe und Freiheitsentzug unerschrocken hin.“, schreibt die ‚Letzte Generation‘ auf ihrer Webseite; ungeachtet der Tatsache, dass ihre (sorry) geringen Forderungen den Klimawandel nicht ansatzweise aufhalten könnten.
- Einnahmen mit Fragezeichen: Auf der Internetseite der ‚Letzten Generation‘ wird darauf hingewiesen, dass sie sich u. a. durch den ‚Climate Emergency Fund‘ finanziert und Teil eines Netzwerks von Widerstandsprojekten namens A22 ist. Eine Recherche der ZEIT im Juni brachte zum Vorschein, dass die Stiftung ihren Sitz in Beverly Hills hat mit zahlreichen prominenten, überaus wohlhabenden Unterstützer:innen. Ebenso interessant ist, dass die Mitglieder der ‚Letzten Generation‘ (lt. dieser Recherche) hier offenbar keine Probleme mit kapitalistischen Strukturen haben. Da stellt sich die Frage, warum sie einerseits Privatjets oder Luxus-Geschäfte mit Farbe besprühen, mit den potenziellen Privatjets ihrer Unterstützer:innen andererseits offenbar keine Probleme haben.
- Demokratie: Die ‚Letzte Generation‘ fordert einen Gesellschaftsrat in der Hoffnung, dass er die Basisdemokratie stärkt. Selbst aber stellt sich die Gruppe streng hierarchisch auf – ohne sich intern mit basisdemokratischen Abstimmungen aufzuhalten. Dies wird in Folge 5 des empfehlenswerten Podcasts ‚Hitze‘ über die LG beschrieben.
Fazit – Wer bringt diese Menschen zur Vernunft?
Nachdem ich mir die Pressefotos angesehen, viele Interviews gelesen und diverse Podcasts angehört habe, bin ich verärgert. Es ist für mich unverständlich, wie jemand etwas beschädigen oder zerstören kann und dennoch glaubt, auf der Seite der ‚Guten‘ zu stehen. Ich kann nicht nachvollziehen, wie man durch zahlreiche Aktionen Feuerwehrleute, Polizist:innen, Gerichte und andere Menschen massiv in Anspruch nimmt, ohne dass diese Bemühungen nach so langer Zeit irgendeinen erkennbaren Effekt hatten – und dennoch davon überzeugt ist, alles richtig zu machen.
Um mich nicht falsch zu verstehen: ich selbst bin für maximal strenge Umweltauflagen und Maßnahmen, um unsere Umwelt zu schützen. Unsere Herausforderungen beschränken sich nicht nur auf die Klimakrise, sondern umfassen eine breite Palette schwerwiegender Umweltprobleme, von denen nicht alle in direktem Zusammenhang mit der Erderwärmung stehen. Es ist ein globales Problem und gerade das bringt viel Ohnmacht mit sich. Oder das Gefühl der Solastalgie, wie ich es schon einmal beschrieben habe. Es ist toll und wichtig, dass sich Menschen engagieren, demonstrieren und ihren ökologischen Handabdruck einsetzen.
Aber ich halte es für genauso wichtig, dass wir uns einen Funken Zuversicht bewahren und nicht in die Depression rutschen, weil wir uns in Weltuntergangs-Szenarien verlieren. Die ‚Letzte Generation‘ verfügt über erhebliche finanzielle Ressourcen, und es wäre mehr als wünschenswert, dass diese mehr als 1.200 Aktivist:innen nicht gegen unser Interesse handeln.
Das Ende von Zerstörung mit Zerstörung erzielen zu wollen, ist wie zu versuchen, ein Feuer mit Benzin zu löschen – es verschlimmert die Situation!
Artikel und Reportagen zum Thema
- Das Erste / Brisant: Vier Gründe, warum die Aktionen der „Letzten Generation“ dem Klima schaden
- Kölnische Rundschau: Treiben „Klima-Kleber“ der AfD Wähler zu?
- SWR Deutschland 3000: Letzte Generation – eskaliert der Klimaprotest?
- rbb Kultur: HITZE – Letzte Generation Close-Up (6-Teiler)
- Tagesschau: FAQ Letzte Generation – Was wollen die eigentlich?
- Tagesschau: Finanzierung, Ziele, Hintergründe: Das ist die „Letzte Generation“
- Tagesschau: Neubauer kritisiert „Letzte Generation“
- Zeit Online: Finanzierung von Klima-Aktivismus (Eine Spurensuche bei den Superreichen in Hollywood)
- Das Erste: Radikal fürs Klima – Helden oder Kriminelle?
- taz: Umfrage zu Klimaaktivisten – Klimabewegung verliert an Rückhalt
- Deutschlandfunk: Kommentar zu Klima-Klebern: Die letzte Generation schadet ihren Zielen
- BR24: Ödes Österreich: Letzte Generation postet Fake-Bilder auf Google
Hinweis: Dieser Artikel wurde ursprünglich am 18.09.2023 veröffentlicht und am heutigen Tag aktualisiert. Titelfoto: Alexandrumagurean / Getty Images.