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Fernwandern: Zu Fuß von Eisenach nach Budapest

Fernwandern: Zu Fuß von Eisenach nach Budapest

Klub Drushba - Rebecca Salentin - Reisemagazin Bravebird

Rebecca kämpft sich schon schwer atmend den Berg hinauf, obwohl sie noch nicht einmal den offiziellen Startpunkt ihrer 2.700 km langen Fernwanderung erreicht hat. Und sie hasst Berge. Trotzdem hat sie hat sich entschlossen, den internationalen Bergwanderweg der Freundschaft von Eisenach nach Budapast (kurz: EB) zu gehen und diese abenteuerlichen Erlebnisse nun in ein Buch gepackt: „Klub Drushba“.

Ich ächze und schnaufe bei jeder Treppenstufe, breche bei der kleinsten Anstrengung in Schweiß aus, werde beim Radfahren von Rentnern überholt, habe Angst vor Spinnen, Hunden, vor Gewitter, tiefen Seen und steilen Höhen, ich fürchte mich im Wald und bin außerdem nachtblind.

Mich persönlich hat es total fasziniert, dass jemand trotz so vieler Aspekte, die eigentlich gegen solch eine lange, bergige Tour in fremder Umgebung sprechen, seine Komfortzone verlässt und mit Rucksack, Zelt und Kocher loszieht – und dann vier lange Monate zu Fuß über Stock und Stein unterwegs ist!

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Ausblick in den Sulower Talkessel, Slowakei

Der Bergwanderweg „EB“ führt übrigens in Deutschland durch herrliche Landschaft: von der Wartburg durch Thüringen ins Vogtland, in das Erzgebirge und in das Elbsandsteingebirge. Um zu Fuß in die ungarische Hauptstadt zu gelangen, geht es danach durch die Länder Tschechien, Polen und die Slowakei.

Ich wollte von Rebecca unbedingt mehr erfahren und freue mich, dass sie Zeit gefunden hat, einige Fragen zu beantworten:

1. Du beschreibst dich selbst physisch und mental als eher ungeeignet für solch eine anspruchsvolle Fernwanderung. Warum hast du dich trotzdem in dieses Abenteuer gestürzt?

Ich wollte unbedingt einen symbolischen Übergang zwischen zwei Lebensphasen zelebrieren. Ich bin sehr früh Mutter geworden, nämlich als ich selbst noch zur Schule ging. Mein zweites Kind bekam ich ein Jahr nach dem Abitur. Somit hatte ich den großen Luxus, mit gerade einmal vierzig Jahren schon die Kinder aus dem Haus zu haben. Der perfekte Zeitpunkt für den Sprung in ein neues Leben.

Zuvor war ich Mutter, Autorin und Gastronomin. Von nun an wollte ich mich nur noch dem Schreiben widmen. Fernwandern faszinierte mich schon länger. Ich empfand mich eigentlich als zu dick, ängstlich und tollpatschig für so ein Abenteuer. Aber ich bin der Meinung, dass man sich nie davon abhalten lassen sollte, seine Träume zu verwirklichen. Also dachte ich mir: Ich hab zwar Angst und bin langsam wie eine Schnecke, aber ich mach´s trotzdem! 

2. Warum hast du dich genau für diesen Fernwanderweg „Weg der Freundschaft“ entschieden?

Das war tatsächlich purer Zufall. Ich stolperte 2016 über eine Infotafel zum „Internationalen Bergwanderweg der Freundschaft von Eisenach nach Budapest“ (kurz EB) und war so beeindruckt, dass man von Eisenach in einer 2.696 Kilometer langen Schlaufe bis Budapest wandern konnte, dass ich noch in derselben Minute den Starttag festlegte, nämlich den 19.4.2019. Mir gefällt, dass man diesen Weg so nachhaltig, nämlich ohne Flug erreichen kann.

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Start an der Wartburg Eisenach

Es ist für mich immer noch kaum zu glauben, dass man quasi an der Haustür startet, um irgendwann in den Karpaten zu landen und dort zu zelten, wo noch Braunbären und Wolfsrudel leben. Das Wort „Bergwanderweg“ ignorierte ich geflissentlich, denn ich mag es partout nicht, bergauf zu gehen. Aufgrund einer Autoimmunkrankheit ist für mich jeder Höhenmeter eine besondere Belastung. Dumm nur, dass der EB mit ca. 75.000 Höhenmetern aufwartet! Im Fluchen bin ich definitiv besser als im Bergsteigen: Ich schwöre, ich hab‘ über jeden einzelnen Anstieg auf dem Trail geschimpft wie ein Rohrspatz! 

3. Was steckt hinter dem Titel deines Buchs „Klub Drushba“?

Meine ursprüngliche Idee vom symbolischen Break im Leben wurde kurz vor der Wanderung ziemlich durcheinandergebracht: zusätzlich zu den flügge werdenden Kindern und dem Verkauf meines Cafés brach nämlich auch noch meine langjährige Beziehung auseinander und ich verlor deshalb sogar meine geliebte Wohnung, in der ich die längste Zeit meines Lebens verbracht hatte.

Als ich los lief, war ich quasi obdachlos. Ich hatte das Gefühl, alles verloren zu haben. Umso größer war das Bedürfnis, mir den Boden unter den Füßen zurückzuerlaufen.

Der EB wurde 1983 als einziger grenzüberschreitender Fernwanderweg im Sozialismus im Sinne der Völkerverständigung gegründet. Daher auch der Beiname „Weg der Freundschaft“. Und ich bin ein sehr geselliger Mensch. Also dachte ich mir: „Der Name ist Programm!“ und lud meine Freund*innen ein, mich auf dem Trail zu besuchen.

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Aufstieg zum Roszutec in der Mala Fatra, Slowakei
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Rebeccas Motto: „Make friends, not kilometers“

Erstaunlich viele erklärten sich bereit, ein Stückchen mit mir zu wandern: manche nur für einen Tag, manche für eine Woche und eine Schulfreundin reiste sogar mit ihrem Mann und dem vierjährigen Sohn an. Die meisten nahmen stundenlange Fahrten bis in die abgelegensten Ecken Osteuropas in Kauf, nur um mit mir zu wandern. Das hat mich wahnsinnig berührt.

Zusammen bildeten wir den Klub Drushba, denn Drushba heißt Freundschaft. 

4. Du hattest viele Ängste, Zweifel und Sorgen vor der Tour. Welche Herausforderungen waren tatsächlich die größten?

Ich hatte vor zwei Aspekten am meisten Angst: Erstens, dass ich der körperlichen Herausforderung nicht gewachsen war und zweitens: vor dem Zelten alleine im Wald. Was den ersten Punkt anging, nahm ich mir vor, es einfach langsam anzugehen. Trotzdem hatte ich zwischenzeitlich mit Leistungsdruck zu kämpfen, nämlich als ich mitbekam, wie schnell andere Wandersleute unterwegs sind. Sich von solchen Vergleichen freizumachen, war ein unheimlich befreiender Akt.

Und was das Zelten angeht, merkte ich schnell: In den meisten Nächten ist es bis auf das beruhigende Rauschen des Windes in den Baumwipfel total ruhig im Wald. Es gab ein paar brenzlige Situation mit Wildtieren und Gewittern, aber danach fühlte ich mich stärker als je zuvor. Es war, als ob ich den Adventure-Ritterschlag erhalten hätte! Was das Wildzelten angeht ist es natürlich selbstverständlich, dass man keinerlei Spuren hinterlässt, nicht einmal Klopapier!

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Zelten in Tschechien
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Kaffeepause mit Freundinnen

Um die Tiere nicht zu stören, habe ich mir immer Plätze direkt am Weg gesucht, z. B. Schutzhütten, Picknicktische, alte Forsthütten, Aussichtstürme, Feuerstellen. Was ich auch gemerkt habe: wie schwer es ist, innere Grenzen und Überzeugen zu überwinden. Ich musste vierzig Jahre alt werden und 2.700 Kilometer weit laufen, um zu lernen, welch uralte Mechanismen mir mental immer noch im Weg standen. Seit der Wanderung kann ich mich viel besser von Menschen abgrenzen, die mir nicht gut tun.

5. Hast du dich auf der Reise unterwegs schonmal allein oder einsam gefühlt?

Ich hatte anfangs etwas Angst vor all den Gedanken, die auftauchen, wenn ich so viel alleine bin. Und da mein ganzes Leben vorher zusammengebrochen war, gab es für mich ziemlich viel zu überdenken. Anfangs kreisten die Gedanken, ordneten sich aber mit jedem Schritt mehr und mehr, bis der Kopf irgendwann tatsächlich frei war und sich eine ungeheure Leichtigkeit einstellte.

Dank abgeschafften Roaming-Gebühren konnte ich ziemlich viel telefonieren oder chatten. Es war für mich existenziell, so oft wie möglich mit meinen Kindern zu sprechen oder zu schreiben. Und ich hatte ja immer meinen Klub Drushba dabei: Denn auch wenn gerade kein Besuch mitwanderte, kommunizierten wir über die gleichnamige WhatsApp-Gruppe. Ohne diesen Support hätte ich mich sicher einsam gefühlt. Aber so wusste ich: Wer solche Freund*innen hat, ist nicht verloren!

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Sonnenblumenfelder in Ungarn

Und ich habe ständig Menschen angequatscht. So habe ich unterwegs sogar neue Freund*innen gefunden. Eine wichtige Lektion war, sich nicht zu scheuen, um Hilfe zu bitten, etwa, wenn ich kein Wasser mehr hatte oder einen Schlafplatz brauchte. Außerdem hat mir die Wanderung einmal mehr bewusst gemacht, wie privilegiert ich bin. Als weiße Person mit deutschem Pass hatte ich nichts zu fürchten und keinerlei Hindernisse oder Schwierigkeiten bei den Grenzübertritten.

Der EB ist nicht nur in Hinsicht auf die Natur interessant, sondern auch aus kultureller und historischer Position. Die Spuren von Krieg, Flucht und Vertreibung der letzten Jahrhunderte sind omnipräsent: Mahnmale, lost places, verlassene Täler mit Ruinen, altes Kriegsgerät, zerstörte jüdische Friedhöfe, Bunkerlinien. Die Themen Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit sind leider aktuell und sichtbar: Etwa, wenn in der deutschen Provinz fremdenfeindliche Parolen geäußert werden oder Romafamilien in deutlich schlechteren Häusern leben als ihre Nachbar*innen.

Für einen syrischen Freund, der mich durchs Riesengebirge begleitete, war ein langer Fußmarsch verbunden mit der Erinnerung an seine Flucht. Vollkommen unbescholten Ländergrenzen überschreiten zu können und unter freiem Himmel zu campieren, ohne Angst haben zu müssen, waren für ihn neue Erfahrungen. 

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Links: Eine der vielen Stempelstellen, hier in der Slowakei | Rechts: Gratwege in der Slowakei

6. Was ist das Besondere am Unterwegssein zu Fuß?

Das monotone Gehen hat etwas ungemein Beruhigendes. Man nimmt seine Umgebung intensiv auf, aber man braucht eben auch lange, um von A nach B zu kommen. Vorwärtsspulen ist quasi nicht möglich, es sei denn, man schummelt, indem man den Bus nimmt oder trampt. Und man ist ja nicht nur der Natur allumfassend ausgesetzt, sondern auch seinem Körper. Ich hatte täglich das Gleiche an.

Die einzigen Variablen waren: lange oder kurze Hose, T-Shirt oder Pulli, Regenjacke oder Sonnenhut. Alles, was ich brauchte, trug ich am Leib und auf dem Rücken. Da merkt man erst mal, mit wie wenig Gegenständen man tatsächlich auskommt. Auch tägliches Duschen wird überschätzt. Ebenso wie riesige Auswahl beim Essen. Und da sind wir irgendwie auch wieder bei den Privilegien: Nachhaltige/gesunde Ernährung ist meiner Meinung nach auch ein Privileg, denn wer arm ist, kann sich eine solche kaum leisten.

Da ich keinerlei Gluten essen darf, ist Ernährung für mich außerhalb meiner eigenen Küche ziemlich kompliziert. Hauptsächlich habe ich mich von Kartoffelpüree, Polenta, Linsen und Reis ernährt. Wenn ich in einer Gaststätte war, gab es meist nur ein einziges Gericht, das ich essen konnte. Aber das stört mich schon lange nicht mehr. Ich bin happy, mit allem, was man mir vorsetzt, Hauptsache ohne Gluten.

Fernwanderweg EB - Reisemagazin Bravebird
Hoch oben in der Tatra in Polen

Wenn man so lange mit so wenig auskommt, aber den sicheren Background im Rücken hat, den wir in Deutschland haben, lernt man demütig zu sein und sich mit dem zufrieden zu geben, was man hat.

Ich hatte lange damit zu kämpfen, im Rahmen meiner Krankheit dick geworden zu sein. Während der Wanderung lernte ich meinen Körper zu schätzen. Ich finde ihn jetzt perfekt, und zwar unabhängig davon, wie viel ich wiege. Schließlich hat mein Körper zwei Kinder zur Welt gebracht und mich und meinen Rucksack 2.700 Kilometer weit getragen. Da möchte ich keine Energie mehr darauf verschwenden, ihn abzuwerten.

7. Wie lautet deine Überzeugungs-Argumente für Menschen, die zwar interessiert sind, es sich jedoch nicht zutrauen?

Auf dem EB ist man Pionier*in! Während jährlich tausende Menschen auf den Jakobsweg, den PCT oder den Kungsleden starten, haben seit seiner Gründung 1983 bisher nicht einmal hundert Menschen den EB komplett gewandert. Und ich war gerade einmal die 13. Person, die ihn als Thruhike bewältigt hat! Man kann den Weg überall ganz nachhaltig, nämlich mit Bus oder Bahn erreichen.

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Nebel in der Tatra, Polen
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Deko an einer polnischen Berghütte

Die ersten 720 Kilometer gehen durch Deutschland: das war für mich beruhigend, denn im Falle der Kapitulation vor meiner eigenen Courage hätte ich jederzeit abbrechen und in den nächsten Zug nach Leipzig steigen können. Auch die Abschnitte durch Tschechien, Polen, die Slowakei und Ungarn sind per Zug zu erreichen. Der EB bietet die perfekte Mischung aus abgeschiedener Natur, Historie und kulturellen Sehenswürdigkeiten.

Laubenganghäuser, Zwiebelturmkirchen, endlose Sonnenblumenfelder, schwindelerregende Gratwege, atemberaubende Gebirge, Hochmoore und sogar ein Geysir warten darauf, entdeckt zu werden. Außerdem liegen unzählige alte Thermalbäder am Weg: Badesachen müssen unbedingt mit. Ich bin dafür, die Wanderung nicht sportlich anzugehen, sondern ganz im ursprünglichen Sinne der Gründungsstaaten, nämlich zur Völkerverständigung.

Es gibt so viele schöne Dörfer, Täler und Almen zu entdecken, wo die Menschen einen mit offenen Armen empfangen. Und man muss auch nicht zelten: Man kann sich auf www.eisenach-budapest.de Reiseführer bestellen, die für jeden Tag mindestens eine Übernachtungsmöglichkeit aufführen.

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Ziel an der Kindereisenbahn Budapest

Ich bin wohl das beste Beispiel dafür, dass wirklich jede*r den Weg schaffen kann. Man ist nämlich nie zu alt, zu dick, zu ängstlich oder zu trottelig, um sich in ein Abenteuer zu stürzen! Meine wichtigste Devise: make friends, not kilometers!


Klub Drushba Buch - Rebecca Salentin - Reisemagazin Bravebird

Wer mehr erfahren möchte und genauso gespannt auf Rebeccas Erlebnisse ist wie ich, kann mal in das Buch reinschauen. Erschienen beim Verlag Voland & Quist.

Wenn du noch mehr über die Autorin Rebecca Maria Salentin erfahren möchtest, kannst du ihre Internetseite besuchen. Dort befindet sich auch noch ein sehr lesenswertes FAQ zum Thema Fernwandern.

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