Vor genau sieben Jahren saß ich erwartungsvoll in einem Konferenzraum eines Kölner Hotels, um an einem Einführungsseminar über Gewaltfreie Kommunikation teilzunehmen. Meine Hoffnung war, dass mir diese Methode vor allem in schwierigen privaten und beruflichen Situationen weiterhelfen könnte. Und an diesem Abend geschah etwas, das mich bis heute nicht mehr loslässt.
Die Referentin präsentierte die Informationen zur sogenannten GfK lebendig und aufschlussreich. Besonders interessant gestaltete sich der Vortrag dann, als sie zu den persönlichen Beispielen überging: Mitglieder des Publikums wurden dazu eingeladen, Konflikte oder problematische Situationen zu teilen, die dann gemeinsam besprochen wurden. In diesem Moment meldete sich eine ältere Dame zu Wort.
Die Dinge sind oftmals anders als gedacht
Sie erzählte von einem Vorfall am Arbeitsplatz. Mit begeisterter Hingabe hatte sie ein Geschenk für den Geburtstag einer Kollegin besorgt und verpackt, das im Namen zahlreicher Kollegen überreicht werden sollte. Leider erkrankte sie am Tag der Übergabe, und eine andere Kollegin überreichte das Geschenk, das sich als großer Erfolg herausstellte. Bei ihrer Rückkehr erhielt sie jedoch kein Dankeschön. Die Wertschätzung für ihre Bemühungen schien vollständig übersehen worden zu sein.
Die Referentin fragte, wie sich die Dame in dieser Situation gefühlt habe. Wütend sei sie gewesen, erwiderte sie. Frau Waltrup bohrte weiter nach und fragte, ob es nicht vielleicht noch ein anderes Gefühl gegeben hätte. Stille. Die Frage wurde an das Publikum weitergegeben: „Welches andere Gefühl könnte da im Spiel gewesen sein?“ Abermals Schweigen. Anstatt der Frage nachzugehen, stellte ich mir wiederum die Frage, wie es möglich sein kann, dass über zwanzig erwachsene Menschen bei einer vermeintlich einfachen Situation nicht wissen, welche Gefühle diese Frau empfunden haben könnte.
Die Referentin richtete ihre Aufmerksamkeit erneut auf die Dame und sagte, dass es sie sicherlich auch unendlich traurig gemacht haben müsse, sich so viel Mühe gegeben zu haben, ohne dass es jemand zu schätzen wusste. In diesem Moment schossen der Rentnerin die Tränen in die Augen, und sie begann zu schluchzen. Nachdem sie sich wieder beruhigt hatte, erkundigte sich die Rednerin, was sie von ihren Kolleginnen gebraucht hätte. Anerkennung, lautete das Bedürfnis. Schließlich wollte die Referentin gemeinsam mit der Dame herausarbeiten, wie sie ihren Unmut bei den Kolleginnen hätte äußern können. Mit einem befreienden Lachen und sichtlich gestärkt setzte sich die zuvor noch von Emotionen überwältigte Frau zurück auf ihren Platz.
Ich war total geflasht. Warum lernen wir nicht bereits in der Schulzeit, welche Gefühle und Bedürfnisse wir haben? Und wie wir Konflikte auf einfühlsame Weise lösen können? Das sind doch die Grundlagen unseres täglichen Lebens. Und wie großartig wäre es, im Gespräch die Bedürfnisse unseres Gegenübers zu erkennen? In diesen 90 Minuten stellte ich fest, dass ich von guter Kommunikation keine Ahnung hatte. Aber ich wollte es herausfinden!
Das „Vorwurfs-Du“ macht viele Probleme
Der Lerneffekt ging noch weiter. Ein älteres Ehepaar trat nach vorne. Der Mann berichtete, dass er den Eindruck habe, seiner Frau nichts recht machen zu können. „Du hast dies schon wieder nicht gemacht!“, „Du hast das wieder falsch eingeräumt!“, „Du sollst das nicht immer so machen!“. Seine Frau nickte. Sie könne nicht nachvollziehen, warum er Dinge, die sie ihm sagen würde, nie so mache, wie sie es sich wünsche. Der Mann wiederum fühlte sich missverstanden und hilflos.
Die Referentin machte deutlich, wie häufig wir uns in einer Vorwurfshaltung befinden, indem wir sagen „Du machst das nicht gut“. Statt dessen ermutigte sie dazu, die eigenen Gefühle und Bedürfnisse klar zu kommunizieren. Die Frau gestand, dass sie sich oft unverstanden fühle und das Bedürfnis nach Ordnung und Struktur habe. Der Mann wiederum gab zu, sich nach Anerkennung und Wertschätzung zu sehnen.
Hier wurde deutlich, dass ihre langjährig eingefahrenen Kommunikationsmuster dazu führten, dass ihre eigenen Bedürfnisse nicht erfüllt werden und das zu ständiger Unzufriedenheit führte. Gemeinsam wurde erarbeitet, wie sie ihre Bedürfnisse klarer kommunizieren und empathischer mit einer Bitte aufeinander eingehen könnten. Es war beeindruckend zu sehen, wie sich die Dynamik des Paares vor unseren Augen veränderte.
Empathie ist der Schlüssel für fast alles
Was macht gute Kommunikation aus? Zuhören, sich in das Gegenüber einfühlen, dem anderen Empathie geben, ungebetene Ratschläge unterlassen, mit dem anderen in Verbindung bleiben. Zugegeben, selbst heute, nach so vielen Stunden Grundausbildung in Gewaltfreier Kommunikation, bin ich darin alles andere als perfekt. Oftmals will ich das auch gar nicht, warum ich zum Beispiel erst kürzlich die Kommentarfunktion deaktiviert habe.
An der Gewaltfreien Kommunikation (GfK) schätze ich besonders, dass sie keine Manipulationstechnik ist, wie es z. B. beim Neurolinguistischen Programmieren (NLP) der Fall sein kann. Stattdessen fördert die GfK die Entwicklung eigener Empathie, öffnet das Herz und verleiht mir die herausragende Sicherheit, in allen Lebenslagen rhetorisch gewappnet zu sein und nicht einfach der lieben Harmonie willen klein beizugeben, wie es gerade für harmoniebedürftige Menschen in manchen Situationen verlockend ist.
Mein Leben hat sich durch GfK stark verändert
Für mich waren all diese Eindrücke und Lerneinheiten wie eine neue Brille, mit der ich alles um mich herum wesentlich schärfer sehen konnte. Nur macht eine schärfere Brille auch Details und Feinheiten sichtbar, die man vorher nicht gesehen oder übersehen hat. Nicht anders erging es mir damit in meinem Umfeld. Sechs Wochen nach dem ersten Kurstag habe ich mich von meinem Partner getrennt, da ich feststellen musste, dass selbst die beste Kommunikation nicht ausreicht, um mit narzisstischen Verhaltensweisen dauerhaft zurechtzukommen.
Auch von einigen Bekanntschaften habe ich mich distanziert, weil sie nicht auf Augenhöhe waren. Geschäftliche Anfragen lehne ich schneller ab, wenn ich feststelle, dass wir nicht harmonieren werden. Zudem fallen mir in allen alltäglichen Bereichen, insbesondere wo es an Empathie mangelt, eklatante Fehler auf, die das Zusammenleben erschweren. Und tagtäglich zu sehen, dass Empörung und Abwertung die meisten Klicks und Likes in den Medien und sozialen Kanälen erzielen, berührt mich regelmäßig.
Die Ausbildung hat meine zwischenmenschlichen Beziehungen in vielerlei Hinsicht bereichert. Andererseits empfinde ich es als immer herausfordernder, die aktuelle Aggressivität und den lauten Austausch im öffentlichen Diskurs zu ertragen. Gelernt habe ich allerdings auch, dass Menschen nicht von Grund auf schlecht sind, sondern es meist Gründe gibt, warum sie sich so verhalten.
In Anbetracht all dessen habe ich seitdem oft den Eindruck, dass ich nicht mehr so recht in diese Gesellschaft passe und denke oft darüber nach, wo ich besser leben könnte. Doch betrachte ich das gleichzeitig auch als Gelegenheit, meine eigenen Werte zu bewahren und konstruktiv an einem Wandel teilzuhaben. Das macht es für mich auch zwingend notwendig, hin und wieder zu reisen, um Abstand und Distanz zu gewinnen und neue Energie zu tanken.
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