Frugalismus - Rente mit 40 erstrebenswert? - Reiseblog Bravebird

Frugalismus – Ist die Rente mit 40 wirklich erstrebenswert?

Wäre es nicht fantastisch, wenn wir in unserem Leben nur etwa zwanzig Jahre arbeiten müssten und anschließend den Rest unseres hoffntlich langen Lebens mithilfe unseres Ersparten und eines passiven Einkommens genießen könnten? Egal, ob wir uns zu Hause oder an einem abgelegenen Strand aufhalten würden – die Welt stünde uns offen und unsere persönliche Freiheit wäre grenzenlos.

Diese Vorstellung mag utopisch klingen, doch sie spiegelt die zunehmende Tendenz wider, den Sinn unserer bisherigen Arbeitsmodelle zu hinterfragen. Wenn wir in den sozialen Medien sehen, wie Menschen ein (vermeintlich) erfülltes Leben in schicken Wohnungen oder Unterkünften an exotischen Orten führen, drängt sich die Frage auf, ob man selbst wirklich weiterhin im täglichen Strudel aus Stress, Hektik und wenig erfüllenden Aufgaben bleiben möchte.

Um diesem Traum näherzukommen, tritt neben einer Flut von kommerziellen Influencer:innen mit „Geldmanifestations“-Kursen und Coaches mit ultimativen Finanztipps für den großen Reichtum eine weitere Gruppe von Menschen ins Rampenlicht. Sie führen einen wohlüberlegten und disziplinierten Lebensstil, um frühzeitig ihre finanzielle Unabhängigkeit zu erreichen: Frugalisten.

Frugalismus

Die Grundprinzipien des Frugalismus umfassen einen sparsamen Lebensstil, das Sparen und Investieren von Geld, die Erreichung finanzieller Unabhängigkeit und oft einen frühen Ruhestand. Der Begriff „Frugalismus“ entstand ca. 2008 während der Finanzkrise in den USA und leitet sich vom lateinischen Wort „frugalis“ ab, was so viel wie „sparsam“ oder „bescheiden“ bedeutet. Frugalisten suchen nach Möglichkeiten, ihre Ausgaben zu minimieren, ihre Ersparnisse in Anlageformen wie Aktien oder Immobilien zu investieren und schließlich genug passives Einkommen zu generieren, um ohne Erwerbsarbeit ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Als ich vor neun Jahren aus meinem stressigen Arbeitsalltag mit extrem wenig Freizeit ausgestiegen bin, hatte ich zwar nicht vor, den Rest meines Lebens nicht mehr zu arbeiten. Aber ich habe seitdem über einen recht langen Zeitraum von meinen Ersparnissen gelebt und kann daher relativ gut beschreiben, warum ich das Konzept des Frugalismus nicht erstrebenswert oder sinnvoll finde.

6 Gründe, warum ich Frugalismus kritisch betrachte

Zunächst möchte ich erklären, warum ich diesen Beitrag überhaupt verfasse. Einerseits stört es mich enorm, dass aufgrund der überwiegend positiven Berichterstattung in den Medien der Eindruck vermittelt wird, als sei Arbeit grundsätzlich etwas Schlechtes.

Andererseits halte ich es für wichtig, eine kritische Perspektive auf das Konzept zu werfen, um eine ausgewogene Grundlage zu schaffen. Schließlich erfordert die Verfolgung dieses Lebensstils einen frühen Start, um die Rente mit 40 zu erreichen – und dies sollte sorgfältig überdacht werden.

1. Sparen ausgerechnet in der aufregendsten Lebens-Phase

Die Liste der Dinge, nach denen sich junge Menschen nach ihrem Schulabschluss oder Studium sehnen, ist oft lang: eigene Wohnung, Möbel, Führerschein, vielleicht ein Auto, die Welt bereisen, ausgiebig ausgehen und Konzerte besuchen, neue Interessen und Leidenschaften entdecken und das Leben in vollen Zügen genießen.

Es ist eine spannende Zeit, in der die Welt noch voller Möglichkeiten und Abenteuer steckt. Definitiv eine Phase, aus der man im Rahmen des Möglichen das Beste machen sollte, denn auf sie wird man ein Leben lang zurückblicken. Sollte man in dieser wichtigen Zeit wirklich auf all das verzichten, nur um später mal wenig oder nicht arbeiten zu müssen? Ich würde es nicht empfehlen.

Zukunft planen bei Frugalismus - Reiseblog Bravebird

2. Planen in eine Zukunft, die ungewiss ist

Es ist zweifelsohne vernünftig, vorausschauend zu planen und frühzeitig an die Altersvorsorge zu denken. Dennoch leben wir in einer Zeit, in der die Zukunft ungewiss ist und klare Vorhersagen für die kommenden zwanzig Jahre schwierig sind. Die Frage, die sich dabei stellt: was passiert, wenn man das Alter, in dem man das „gute Leben“ beginnen wollte, möglicherweise gar nicht erreicht?

Dieses Prinzip des frühzeitigen, extremen Sparens steht somit im Kontrast zu dem wichtigen Grundsatz, das Leben im Hier und Jetzt zu genießen. Unabhängig davon bringt die Investition in Aktien, Crypto und ETFs ebenfalls Unsicherheiten mit sich, da die Finanzmärkte ständig schwanken und niemand genau vorhersagen kann, wie sich diese Investitionen entwickeln werden.

3. Das Leben dreht sich unaufhörlich um Geld

Wenn man sich auf das Ziel der Frührente mit 40 vorbereitet, wird man zwangsläufig einen erheblichen Teil seiner Zeit und täglichen Aufmerksamkeit seinen Ausgaben und Einsparungen widmen. Das erfordert ein hohes Maß an finanzieller Disziplin und Planung. Gleichzeitig lastet der Druck auf einem, ein entsprechendes Einkommen zu erzielen, um die ehrgeizigen Sparziele zu erreichen. Die tägliche Auseinandersetzung mit Geld-Angelegenheiten kann Stress, psychische Belastung und Existenzängste auslösen.

Darüber hinaus führt ein extrem sparsames Verhalten eventuell dazu, dass man z. B. auf sinnvolle Versicherungen verzichtet. Ein Autounfall ohne die Absicherung eines Rechtsschutzes verursacht unter Umständen beträchtliche finanzielle Belastungen. Ebenso sind bei unvorhergesehenen Ausgaben wie dringende Reparaturen oder finanzielle Verluste aufgrund der straffen Sparmaßnahmen Ärger und Frustration vorprogrammiert.

Die ständige Beobachtung der Finanzmärkte kann in weniger erfreulichen Zeiten beunruhigend sein und das finanzielle Gleichgewicht ins Wanken bringen. Und selbst, wenn das Ziel der Frührente mit 40 Jahren erreicht ist, bedeutet dies in der Regel nicht, dass man fortan in Saus und Braus leben kann. Stattdessen erfordert es weiterhin einen sparsamen Lebensstil, um die nächsten 30-50 Jahre über die Runden zu kommen. Ob sorgenfrei, ist fraglich.

Rente mit 40 Frugalismus Kritik - Reiseblog Bravebird

4. Das Risiko von sozialer Isolation und Ablehnung

Ein konsequent praktizierter Frugalismus birgt das Risiko, dass man sich in dem Bestreben, möglichst viel zu sparen, von sozialen Aktivitäten und zwischenmenschlichen Beziehungen zurückzieht. Durch die Ablehnung von Einladungen zu Treffen oder das Vermeiden gemeinsamer Aktivitäten, die mit Kosten verbunden sind, schließt man sich vom sozialen Miteinander aus.

Menschen, die als „Sparfüchse“ oder geizig angesehen werden, werden zudem oft von anderen gemieden. Die Art und Weise, wie jemand mit seinem Geld umgeht, kann sich stark auf zwischenmenschliche Beziehungen auswirken. Wenn jemand als zu geizig oder egoistisch wahrgenommen wird, um Geld auszugeben oder anderen zu helfen, kann das Spannungen auslösen und sogar zur Ablehnung durch Freund:innen und Familienangehörige führen.

5. Was tun im „Ruhestand“ ab 40?

Das wäre eigentlich die erste und wichtigste Frage, die man sich beantworten sollte, bevor man sich für den Frugalismus entscheidet. Die Realität zeigt, dass es wahnsinnig schwer ist, 100% Freizeit sinnvoll zu gestalten. Oftmals träumen Menschen, die gestresst oder unzufrieden sind, von einem Leben in entspannter Freiheit. Doch wenn diese Freiheit dann eintritt, stellt sich die Umsetzung als weitaus komplexer heraus als gedacht.

Mit 40 Jahren befindet man sich mitten im Leben, ist topfit und kann das Leben als Frugalist dennoch nicht uneingeschränkt genießen, weil das Konzept nach wie vor auf Kostenminimierung ausgerichtet ist. Früher hätte ich es womöglich abgestritten, jedoch gibt es hier und da schon einige Dinge, die wir uns gern erfüllen möchten und die bedauerlicherweise mit einem finanziellen Aufwand verbunden sind.

Mit diesem Konzept ist man daher also auch ab 40 tendenziell nicht wirklich frei, wenn das Thema Geld und möglicherweise auch der Begriff „Verzicht“ weiterhin präsent sind. Abgesehen davon fände ich ein Leben ganz ohne berufliche Tätigkeit mit allem, was damit verbunden ist, persönlich wenig erfüllend. Die beruflichen Herausforderungen, die sozialen Interaktionen und die Möglichkeit, neue Dinge zu lernen, sind wichtige Aspekte unseres Lebens.

Frugalismus Kritik - Reiseblog Bravebird

6. Arbeit ist mehr als nur Geld verdienen

Es ist verständlich, dass Menschen sich eine erfüllende, stressfreie und sinnvolle Arbeit wünschen. Dennoch ist es mir ein Anliegen zu vermitteln, dass Arbeit nicht automatisch etwas Negatives darstellt, das es unbedingt zu vermeiden gilt. Arbeit kann nicht nur finanzielle Stabilität bieten, sondern auch einen tieferen Sinn und Zweck im Leben vermitteln.

Berufliche Tätigkeiten ermöglichen es uns, unsere Fähigkeiten auszuleben, unsere Talente zu entfalten und persönlich zu wachsen. Ein Arbeitsplatz bietet uns die Möglichkeit, soziale Kontakte zu knüpfen und in einer Gemeinschaft aktiv zu sein. Gleichzeitig kann uns die Arbeit – zumindest hoffentlich – die Anerkennung bieten, die wir für unsere ausgeübte Tätigkeit verdienen.

Und es gibt noch einen weiteren Aspekt, den man nicht unterschätzen sollte: wer einmal diese ultimative Freiheit genossen hat, wird es schwerhaben, wieder in ein Arbeitsverhältnis mit Regeln und festen Arbeitszeiten zurückzukehren. Die Annahme, dass es leicht wäre, bei Bedarf wieder eine Anstellung zu finden, erweist sich in der Realität oft als trügerisch. Die mentale Hürde ist gewaltig!

Fazit: Warum ein ausgewogener Lebensansatz die bessere Wahl ist

Das Ziel, mit 40 in den Ruhestand zu gehen, erscheint mir als ein extrem ehrgeiziges Vorhaben, das man aus verschiedenen Gründen hinterfragen sollte. Die Notwendigkeit, ständig auf finanzielle Aspekte zu fokussieren und ein Leben in dauerhafter Sparsamkeit zu führen, klingt nicht besonders verlockend. Lediglich für diejenigen, die ein Faible für Finanzen, Aktien & Co. haben, mag es leichter umsetzbar und möglicherweise finanziell attraktiv sein.

Dennoch finde ich einige Prinzipien des Frugalismus durchaus sinnvoll. Zum Beispiel würde ich mir wünschen, dass uns bereits in der Schulzeit ein verantwortungsvoller und konsumkritischer Umgang mit Geld vermittelt wird; einschließlich der Fähigkeit, zwischen zweckmäßigen und verschwenderischen Ausgaben zu unterscheiden. Ebenso halte ich es für wichtig, früh finanzielle Vorsorge zu treffen, um in der Zukunft vielleicht die Möglichkeit eines entspannten Sabbatjahrs oder einer Auszeit in Betracht zu ziehen.

Deutlich effektiver als der Frugalismus erscheint mir die Suche nach einer ausgewogenen Lebensweise, die zwischen einem achtsamen Umgang mit Geld und dem Genuss des Lebens, zwischen finanzieller Verantwortung und sozialer Teilhabe sowie zwischen Freiheit und Verpflichtungen abwägt. Die Suche nach diesem Gleichgewicht ermöglicht es uns, finanzielle Unabhängigkeit zu erlangen, ohne den Wert und die Bedeutung unserer beruflichen Tätigkeiten zu unterschätzen.

Anmerkung: Ein weiterer Kritikpunkt des Frugalismus ist, dass es sich um ein privilegiertes Konzept handelt, das nicht für jede Person in gleicher Weise erreichbar ist. Sollte dies auf dich zutreffen, bitte ich darum, diesen Text nicht persönlich zu nehmen, sondern ihn im Kontext der Vielfalt von Lebenserfahrungen zu betrachten.

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Als Gründerin und Inhaberin dieses Reiseblogs teile ich hier seit 2013 meine Begeisterung fürs Reisen und persönliche Geschichten aus meinem Leben.

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