Ehrlich gesagt wusste ich gar nicht so genau, was ich mir unter einem Township vorstellen sollte. Erst dachte ich, es sei einfach ein anderer Begriff für Slums. Als ich dann erfuhr, dass in den Townships nicht nur Arme leben, sondern auch Menschen aus der Mittelklasse, war das schonmal eine gute Information, die mich letzten Endes aber nicht weiterbrachte.
Zudem stellte sich die Frage, ob der Besuch eines Townships nicht zu gefährlich wäre, wo ich doch gelesen hatte, dass die Kriminalität eher außerhalb des Zentrums stattfindet und damit auch unter anderen in den Townships.
Andererseits würden dann aber keine täglichen Touren dorthin stattfinden. Genug der Überlegungen. Um Antworten auf all meine Fragen zu finden, buchte ich eine Halbtagestour für den gestrigen Tag. Wieder bei African Eagle und diesmal für 550 Rand, was etwa 46 € entspricht.
Der Guide – selbst in einem Township lebend – versorgte die weiteren vier Mitstreiter und mich während der Fahrt zu unserer ersten Destination mit Informationen über die Einwohner Kapstadts, die Apartheit (Rassentrennung) und Unterschiede zwischen Schwarzen, Farbigen und Weißen. Die Bevölkerung ist hier in 77% Black, 9% Coloured, 12% White und 2% Asiaten aufgeteilt.
Der erste Halt galt dem District Six Museum. Dieser Bezirk diente in den 60er Jahren vor allem freigelassenen Sklaven, Künstlern, Arbeitern und Immigranten als Wohnort. Nur wenige Jahre später sollte das Viertel nur noch für Weiße bestimmt sein. Diese Umsiedlungs-Maßnahme gilt heute als eine der Musterbeispiele für die menschenverachtende und rassistische Politik der Apartheid.
Nur wenige Jahre später wurde das Viertel geräumt und die Häuser abgerissen. Erst neun Jahre nach 1994 – dem Ende der Apartheid – wurden wieder einige neue Wohnhäuser errichtet; der meiste Teil des Baulandes liegt aber bis heute brach. In dem Museum wird das Leben der Menschen vor dem Abriss gut veranschaulicht.
Mit diesen Vorinformationen sollte es nun in das erste Township gehen. Ich war zugegebenermaßen etwas angespannt, auch wenn mir inzwischen bewusst war, dass der Besuch nicht gefährlich sein würde. Aber ich würde wahrscheinlich mit großer Armut konfrontiert werden, was mich immer wieder Überwindung kostet – auch wenn ich in den vergangenen Jahren schon so viel Leid gesehen habe.
Wir hielten also in Langa, dem ältesten offiziellen Township, in einer fast menschenleeren Straße. Flache Häuser aus Stein, Blech und Schiffscontainern reihten sich hier aneinander. Ein Häuserblock wird sogar „Beverly Hills“ genannt. Der Fahrer stellte den Wagen vor einem lokalen „Fleischgeschäft“ ab, das aus einer Holzbude mit Holztischen bestand.
Der Metzger hatte zwar offensichtlich geschlossen, dennoch ähnelte dieser Platz einem wahrhaft tierischen Ersatzteillager: riesige Kieferknochen, Hörner und andere nicht verwertbare Reste lagen in Massen auf dem Boden. Schafsköpfe zierten einen Tisch, offensichtlich waren sie nicht zu gebrauchen. Das war ja mal ein gelungener Einstieg – wie sollte das jetzt weitergehen?
Das sich hier anbietende Bild hätte durchaus auch in Deutschland sein können, nur dass bei uns aller Wahrscheinlichkeit die Autos nicht aufgebockt wären. Oder vielleicht doch? Kurze Zeit später befanden wir uns auch schon in einem dieser Häuser. Wir betraten die Gemeinschaftsküche.
Aus der vorangegangenen Beschreibung des Guides konnte man sich kaum vorstellen, dass in einem dieser Häuser gleich mehrere große Familien leben sollten. Das Haus bestand aus mehreren Zimmern, in dem jeweils drei Betten standen, das sich wiederum zwei bis drei Leute teilten.
Kleidung und die anderen wenigen Habseligkeiten waren über und unter den Betten verstaut. Die beiden anwesenden Männer berichteten einiges über die Probleme in Bezug auf die extreme Arbeitslosenrate (25%) und die Tatsache, dass oft eine einzige Person aus der Familie für mehr als vier Personen Geld herbeischaffen muss.
Und da standen nun fünf europäische und amerikanische Touristen mit teuren Kameras und sonstigem unnötigen Equipment in einem etwa 12 qm kleinen Raum, dessen Bewohner froh waren, abends überhaupt etwas Essbares auf dem Tisch stehen zu haben. Man spürte, dass bei allen der gleiche Gedanke aufkam, was sich nach einer Zeit durch ein betretenes Schweigen bemerkbar machte.
Die Stimmung bei dem Spaziergang durch die Nachbarschaft war seltsam. Eine ungewöhnliche Stille herrschte hier. Wenige Menschen befanden sich auf den Straßen. An manchen Häuserecken saßen Männer zusammen. Zwischendurch tauchten immer wieder gepflegte Häuser auf.
Wir verließen nun auch die ebenen Straßen und tauchten in einen sandigen Bereich ein, der nur noch aus Holzbuden und Bretterverschlägen bestand. Eine Minute später saßen wir schon in einer dieser Häuschen auf der Bank. Nach einer kurzen Erklärung des Guides kam ein 3 Liter-Metalleimer ins Spiel.
Wir waren in einer sogenannten Shebeen, das ist so viel wie eine Kneipe. Irgendwie war das hier alles andere als das, was man sich unter solch einer Lokalität vorstellen würde, aber eins stand jetzt fest: Hier gab es lokal gebrautes Bier! Der besagte Metalleimer war randvoll gefüllt. Wilder gelber Schaum quoll oben heraus.
Als der Chef des Hauses als erster aus dem schweren Eimer trank, ihn dann würdevoll dem Guide weiterreichte und weit und breit keine Gläser in Sicht waren, schoss mir sogleich die Frage in den Kopf, ob ich diesmal gegen alles geimpft war. Aber dann war ich auch schon dran. Zwei große Schlücke und mein Eindruck… yep, kann man trinken.
Obwohl der Geschmack eher an einen säuerlichen Trinkyoghurt erinnerte als ein 3%-iges Bier…
Alle Bewohner in diesem Viertel haben keine eigenen Toiletten oder Waschräume in ihrer Hütte und müssen sich mit öffentlichen Waschplätzen und Dixies zufrieden geben. Ein Haus besteht oft aus zwei kleinen Zimmern: 1. Schlafraum, 2. Wohnzimmer und Küche. Das war’s. Auch hier leben nicht selten mehrere Familien unter einem Dach. Eines der größten Probleme ist hier wohl Feuer, das im Falle eines Ausbruchs in Windeseile alle nahe gelegenen Hütten mit niederbrennt.
Das zweite Township hieß Khayelitsha und ist mit etwa 1.5 Million Einwohner das größte in Kapstadt (das drittgrößte Südafrikas). 90% Schwarze und 10% Coloured leben hier auf kleinstem Raum in Stein-, Holz-, Wellblech- und Papp-Hütten.
Die Infrastruktur dieses Townships ist wesentlich besser, was natürlich auch an der Größe und Einwohnerzahl liegen wird. Hier gibt es Supermärkte, Frisöre und andere lokale Shops, die man zum Leben braucht. In den „besseren“ Bereichen war es sogar auch verhältnismäßig sauber.
Wir parkten vor dem vermeintlich kleinsten Hotel Südafrikas, in das wir auch herein gebeten wurden: Vicky’s B&B. Die Besitzerin wurde vor vier Monaten von ihrem Ehemann erstochen, was meines Erachtens nicht gerade einen vertrauenserweckenden Eindruck auf diese Bleibe macht. Auch bei größtem Erlebnishunger wäre das hier ehrlich gesagt nicht das Hotel meiner Wahl.
Der Besuch eines Kinderheims und eines Kindergartens gehörten auch zum Programm, bei dem es allerdings lediglich darum ging, nach ein paar Liedern eine Spende abzuliefern. Dagegen ist an sich auch nichts auszusetzen, sofern das Geld auch den Kindern zu Gute kommt.
Am frühen Nachmittag zurück in der Stadt, verbrachte ich den Rest des Tages auf der Long und Kloof Street. Ein unwirklicher sozialer Wechsel – in derselben Stadt am selben Tag. Hier gibt es moderne Restaurants und Bars und vereinzelt coole Shops. Die Mall auf der Kloof kann man sich aufgrund vieler unbesetzter Läden eigentlich schenken.
Morgen würde ich mich dem Tafelberg, der Waterfront und weiterem Sehenswerten widmen.
wahnsinns fotos, freue mich schon auf deine weiteren erlebnisse!
Unglaublich emotionale Bilder, einfach toll, was du alles erlebst. Leider würde ich mich das nicht trauen :( Aber ich reise gerne sozusagen virtuell mit :D
Sehr schöne Fotos, guter Beitrag. Ich habe Deinen Blog eben erst entdeckt und er gefällt mir. War 2000 im Rahmen eines Praktikums in den Townships Khayelitsha und Langa unterwegs, da einige meiner Kollegen hier wohnten.
Vielen Dank für diesen besonderen Bericht. Wir haben im Juli 2011 in etwa den gleichen Townshipbesuch gemacht und ich kann die zwiespältigen Gefühle wirklich gut nachvollziehen. Dass die Besitzerin von Vicky´s B&B von ihrem Ehemann erstochen wurde ist absolut schrecklich. Wir haben sie noch als unkomplizierte und unerschrockene Gastgeberin kennengelernt.
Deine Fotos sind toll, der Bericht ebenso.
Hallo Ute,
würdest du eine solche Township-Tour noch einmal machen? Ich bin hin- und hergerissen ob ich es machen soll, tendiere momentan aber zu nein. Nicht weil ich Angst vor Kriminalität habe, sondern weil mir das ein wenig vorkommt, als würde man „Tiere im Zoo“ besuchen – ich hätte das Gefühl, dass die Einheimischen dann denken könnten, man würde sich als etwas Besseres fühlen und das möchte ich nicht. Andererseits werden die Kosten für die Touren ja auch oft für die Townships verwendet?
Liebe Grüße
Nadja
Hi Nadja,
ja, ich würde es definitiv wieder machen! Deine Bedenken kann ich verstehen, aber vielleicht siehst du es von einer anderen Seite: Mit deiner Hilfe kannst du diese Menschen unterstützen. Und ich glaube, dass es an dir liegt, nicht zu vermitteln, dass du etwas Besseres bist. Alle in meiner Gruppe waren eher demütig als überheblich. Diese pure Ausweglosigkeit zu spüren, hat mein eigenes Denken und Verständnis für arme Menschen sehr verändert und das fand ich persönlich eine sehr wichtige Erfahrung.
Wünsche dir eine schöne Zeit und viele Grüße
Ute