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Steuerfrei leben in Dubai, Bali & Co. – Lebenstraum oder Ego-Trip?

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Ein Mann steht alleine in der Wüste Dubais und schaut in den Horizont, den Rücken zur Kamera gewandt.

In einer Zeit, in der das Leben immer teurer wird und viele Menschen es leid sind, einen großen Teil ihres Einkommens abzugeben, wächst der Wunsch nach einer Freiheit, in der sie über ihr eigenes Geld selbstbestimmt verfügen können. Diese Sehnsucht wird von Influencern und Coaches aufgegriffen, die eine attraktive Lösung anbieten: ein steuerfreies Leben an exotischen Orten wie Dubai, Bali und anderen Steueroasen. In ihren Werbeclips auf Social Media vermitteln sie den Eindruck, dass dieser Lebensstil der Schlüssel zum ultimativen Glück ist.

Doch hinter diesen romantisierenden Versprechungen verbirgt sich häufig eine andere Realität. Eine ganze Branche hat sich mittlerweile etabliert, um diesen vermeintlichen Traum zu vermarkten – von Online-Kursen über Beratungen bis hin zu Anleitungen, wie und wo man steuerfrei leben kann. Was auf Social Media so einfach erscheint, bringt im Alltag oft Herausforderungen und Konsequenzen mit sich, die weder angesprochen noch kritisch hinterfragt werden.

In diesem Artikel möchte ich daher auf fünf Punkte eingehen, die zeigen, was hinter dem Traum vom steuerfreien Leben steckt – und warum er nicht so perfekt ist, wie er den Menschen verkauft wird.

1. Das Versprechen von einfachen Einnahmequellen – und warum der Erfolg oft ausbleibt

Der Traum vom ortsunabhängigen Leben wird gerne als „für jeden erreichbar“ vermarktet – besonders von Influencern und Coaches, die ihre eigenen Erfolgsgeschichten in Kursen propagieren, in denen sie ihre „Geheimnisse“ verraten. Obwohl Social Media längst Teil unseres Alltags ist, scheint vielen Menschen immer noch nicht bewusst zu sein, dass das Lebensmodell dieser Anbieter in der Regel nur möglich ist, weil sie ihr Einkommen durch Menschen generieren, die ihre Inhalte konsumieren und ihre Produkte kaufen. In ihren Kursen und Beratungen wird dabei eine Vielzahl von Einnahmequellen als einfach und lukrativ angepriesen, darunter:

  • Online-Kurse und Coaching: Die eigene Expertise in Form von Kursen oder Coachings an Kunden verkaufen.
  • E-Commerce und Dropshipping: Produkte über Plattformen wie Shopify vertreiben (ohne physische Bestände)
  • Freelancing und Remote-Arbeit: Dienstleistungen wie Webentwicklung, Grafikdesign, Copywriting und Social-Media-Management
  • Affiliate-Marketing, Bloggen und YouTube: Einnahmen durch das Bewerben von Produkten, Werbung und Affiliate-Links auf Blogs oder YouTube-Kanälen. Ein Beispiel findest du in meinem Gründer.de-Faktencheck.
  • Krypto- und Aktienhandel: Handel mit Kryptowährungen und Aktien
  • Immobilieninvestitionen im Ausland: Immobilien kaufen und vermieten über Plattformen wie Airbnb
Eine Frau sitzt an der Theke eines Cafés in Bali mit Blick auf den Strand. Sie hält ihr Handy in der Hand und genießt die Aussicht auf das Meer und die Palmen.
Früher Sehnsuchtsziel beim Gedanken an den nächsten Urlaub; ausgewandert ist dieser Patz nach einiger Zeit einfach nur ein ganz gewöhnlicher Arbeitsplatz, den man sich mit über 5.000 digitalen Nomad:innen auf Bali teilen muss. (Foto: Daria Mamont / Unsplash)

Was dabei nicht thematisiert wird: Je mehr Menschen diesen Weg einschlagen, desto größer wird die Konkurrenz, und desto schwieriger wird es, ausreichend Kunden zu gewinnen. Wenn der erhoffte Erfolg trotz teilweise hoher Investitionen in Coachings und Kurse ausbleibt, sprechen die meisten nicht darüber. Scheitern ist immer noch ein gesellschaftliches Tabu und die damit verbundene Scham hindert die Menschen daran, ihren Misserfolg publik zu machen, wodurch am Ende lediglich die positiven Erfolgsgeschichten sichtbar sind. So bleibt die Illusion des erreichbaren Lebens im Ausland erhalten und immer mehr Menschen lassen sich in diesen überlaufenen Markt hineinziehen.

2. Die Abkehr vom deutschen Sozialsystem – Fehlende Absicherung, hohe Kosten und Risiken

Über den „Sozialstaat Deutschland“ lässt sich leicht schimpfen, doch wenn man einmal auf seine Leistungen angewiesen ist, wird deutlich, welch großes Privileg er darstellt. Wer sich aus Deutschland abmeldet, verzichtet auf diese umfangreiche Absicherung und muss mit Risiken rechnen, die erst im Ernstfall sichtbar werden:

  • Krankenversicherung: Muss privat abgeschlossen werden und ist oft teurer. Internationale Versicherungen kosten mehrere Hundert Euro pro Monat und decken häufig nicht alles ab.
  • Rentenansprüche: Ohne Einzahlungen in die gesetzliche Rentenversicherung werden keine weiteren Rentenansprüche aufgebaut.
  • Pflegeversicherung: Der gesetzliche Schutz im Pflegefall entfällt und eine private Pflegeabsicherung ist im Ausland selten. Pflegekosten können extrem hoch sein.
  • Arbeitslosenversicherung: Im Falle der Arbeitslosigkeit gibt es keine staatliche Unterstützung. Ohne Einkommen bleibt man auf eigene Rücklagen angewiesen.
  • Berufsunfähigkeit: Ohne private Berufsunfähigkeits-Versicherung entfällt im Ausland jeglicher Schutz – als Selbstständiger ist man hier vollständig auf private Vorsorge angewiesen.
  • Rechtsschutzversicherung: Rechtliche Auseinandersetzungen können teuer werden, besonders im Ausland. Eine internationale Rechtsschutzversicherung schützt vor hohen Kosten, ist jedoch kostspielig.
  • Berufs-Haftpflicht und -Rechtsschutz für Selbstständige: Selbstständige sind im Ausland oft besonderen rechtlichen Risiken ausgesetzt. Eine Berufs-Haftpflicht- und Rechtsschutzversicherung ist möglich, jedoch meist teuer.
  • Sozialleistungen: Entfallen im Ausland
  • Haftpflicht- und Unfallversicherung: Internationale Haftpflicht- und Unfallversicherungen schützen vor hohen Kosten, sind aber oft teurer und decken nicht immer alle Risiken ab.
Infinity-Pool mit Blick auf Dubais Skyline
Entspannung und Luxus im Infinity-Pool – eine vermeintliche Sorgenfreiheit, die jedoch nie und nirgends zu 100% garantiert ist. (Foto: Adam Neiland / Unsplash)

Kann sein, dass man diese Versicherungen nie braucht – kann aber auch nicht sein! Gerade im Ausland, wo die Situation oft unsicher und die sozialen Absicherungen begrenzt sind, können unvorhergesehene Ereignisse schnell zu einer großen Herausforderung werden. Ohne das deutsche Sozialsystem im Rücken können Krankheit, Arbeitslosigkeit oder rechtliche Konflikte schnell zu einer existenziellen Belastung werden. Und wer aufgrund von Misserfolg oder Krankheit nach Deutschland zurückkehren muss, wird nicht ad hoc eine Wohnung finden – vielleicht bleibt dann nur der Weg zurück ins Elternhaus…

3. Der wachsende Egoismus – Was es bedeutet, wenn jemand keine Steuern zahlen will

Keine Steuern zahlen zu müssen klingt attraktiv – doch das hält nur, solange man nicht darüber nachdenkt, wie unser gesellschaftliches System aufgebaut ist. Jede Versicherung, jede öffentliche Leistung basiert auf einem solidarischen Prinzip: Manche zahlen mehr, andere weniger oder nichts, je nachdem, wer gerade Unterstützung benötigt. Steuern finanzieren Straßen, Krankenhäuser, Schulen und die soziale Absicherung für diejenigen, die darauf angewiesen sind. Ohne diesen gemeinschaftlichen Beitrag könnte unser System schlichtweg nicht bestehen.

Wenn sich nun immer mehr Menschen entscheiden, diesen solidarischen Beitrag zu umgehen, ist das mehr als nur eine persönliche Lebensentscheidung und geht zu Lasten der Gemeinschaft. Die Entscheidung, sich aus dieser Verantwortung zu ziehen und alles Geld für sich zu behalten, bedeutet, dass immer weniger Mittel zur Verfügung stehen, um das soziale Gefüge aufrechtzuerhalten. Dieser Trend stellt daher eine fragwürdige Abkehr von Solidarität und Verantwortung dar, die für das Funktionieren unserer Gesellschaft eigentlich unverzichtbar sind.

Die Freiheit des einen endet dort, wo die Freiheit des anderen beginnt.

– Oliver Wendell Holmes Jr.

Und ich bin ziemlich sicher, dass viele diesen oftmals riskanten Schritt des Auswanderns gar nicht erst gehen würden, wenn sie nicht wüssten, dass sie im Falle einer Rückkehr auf ein weiches, gemachtes Bett der sozialen Absicherung in Deutschland fallen – ein Bett, für das sie in diesem Fall längere Zeit ganz bewusst nichts mehr gezahlt haben.

Junger Mann auf der Promenade in Dubai mit Blick auf die Skyline.
Die Herausforderung, tiefe Beziehungen oder Freundschaften im Ausland aufzubauen, wird oft unterschätzt. (Foto: Kate Trysh / Unsplash)

4. Wunschziel ohne Wurzeln – Die unterschätzte Rolle sozialer Kontakte

Die Hoffnung, im Ausland ein erfüllteres Leben und ein neues „Zuhause“ unter Palmen zu finden, ist groß. Doch an beliebten Orten wie Dubai, Bali oder Ko Samui kann der Traum zur Blase werden: Massentourismus und Oberflächlichkeit dominieren und die tiefen sozialen Bindungen, die man zu Hause hatte, sind dort schwer zu finden. Auch wenn man als Paar oder Familie reist und oft monatelang oder sogar jahrelang vor Ort bleibt, sind echte Freundschaften eine Rarität. Für viele wird erst spät klar, dass ohne enge soziale Bindungen selbst die schönste Umgebung dauerhaft nicht glücklich macht.

Hinzu kommt, dass die Umgebung selten das Paradies ist, das Instagram verspricht. Vermüllte Strände und Staus mit starker Luftverschmutzung zum Beispiel. In Dubai sitzt man in klimatisierten, sterilen Wohnungen mit Blick auf Stahl und Beton mitten in der Wüste. Auch alltägliche Dinge, die man in seinem gewohnten Umfeld schätzt, fehlen mit der Zeit wie z. B. bestimmte Lebensmittel und andere vertraute Gewohnheiten. In Co-Working-Spaces zeigt sich häufig eine starke Tendenz zur Selbstdarstellung: Man sitzt in Cafés nebeneinander vor Laptops und Smartphones, zelebriert seinen „busy“ Lifestyle, während echte Gespräche auf der Strecke bleiben. Was anfangs wie pure Freiheit wirkt, entpuppt sich als isolierter Alltag in einer Blase, in der sich keine neuen Wurzeln schlagen lassen.

5. Frei von Steuern, frei von Verpflichtungen – frei von Zusammenhalt

Die Bilder und Videos von Influencern und Coaches versprechen viel: ein Leben mit Statussymbolen wie teuren Autos oder luxuriösen Uhren und/oder das vermeintliche Glück unter Palmen – endlich nur für sich selbst zu leben. Viele lassen sich davon anziehen, sehen darin den Weg, ihr „bestes Selbst“ zu erreichen. Finanzielle Freiheit und der Wunsch, als „Macher“ unabhängig vom System das eigene Leben in die Hand zu nehmen, treffen genau den Nerv der Zeit.

Doch während die eigene Freiheit und Selbstverwirklichung immer mehr im Mittelpunkt stehen, rücken andere wichtige Dinge in den Hintergrund – wie das Gefühl von Gemeinschaft, Verbundenheit und Zugehörigkeit. Der Gedanke, für sich selbst leben zu wollen, verstärkt häufig eine narzisstische Haltung, bei der Werte wie Zusammenhalt und Verantwortungsgefühl an Bedeutung verlieren und die eigene Rolle innerhalb einer größeren Gemeinschaft zunehmend in den Hintergrund tritt.

Der Mensch ist das einzige Wesen, das sich selbst liebt und sich dabei verliert.

– Søren Kierkegaard, Philosoph

Keine Steuern mehr zahlen zu müssen, hat wenig mit innerer Freiheit oder gar einer spirituellen Haltung zu tun. Es passt vielmehr zu dem Zeitgeist, der das „Ich“ stark in den Vordergrund stellt. Gerade dieser Weg, den viele Influencer und Berater:innen als Ideal vorleben, verstärkt die Tendenz, dass Menschen das Gefühl für das wirklich Erfüllende im Leben verlieren und am Ende isolierter dastehen als zuvor. Wie erfüllend soll ein Leben sein, das sich von Verantwortung und Gemeinschaft abwendet? Und was bleibt von dieser „Unabhängigkeit“ übrig, wenn sie auf Kosten der Verbundenheit mit anderen geht?

Mann sitzt allein im Pool auf Bali und schaut in die Ferne
Auch wenn sich der Horizont ändert – die eigenen Probleme reisen immer mit. (Foto: Ali / Unsplash)

Wenn Menschen das „Wir“ verlassen

Unser Leben als Gemeinschaft basiert weltweit auf einem Prinzip der Solidarität: Menschen tragen gemeinsam Verantwortung und unterstützen sich gegenseitig. Steuern finanzieren unsere gesamte Infrastruktur – Gesundheitswesen, Bildung, Forschung, Justiz, Sicherheit und vieles mehr. Ohne diese gemeinsame Basis wäre das System, das unseren Alltag sichert, nicht möglich. Immer mehr Menschen zeigen jedoch die Tendenz, sich bewusst von diesem System zu distanzieren und profitieren dennoch von dem, was andere solidarisch beitragen. Im Notfall verlassen sie sich darauf, dass sie in ihrer Heimat weiterhin eine Absicherung finden, wenn das Ausland nicht die erhoffte Sicherheit bietet.

Natürlich kann und sollte jeder für sich entscheiden, welchen Weg er geht. Doch was bedeutet es für eine Gesellschaft, wenn sich immer mehr Menschen vom „Wir“ verabschieden und das „Ich“ an erste Stelle setzen – nehmen, aber nicht mehr geben wollen? Die Entscheidung, sich vom solidarischen Beitrag zu lösen und alle Einnahmen für sich zu behalten, spiegelt eine ziemlich egozentrische Haltung wider, die Gemeinschaft und Verantwortung zunehmend ablehnt.

Gerade diese „Ich zuerst“-Einstellung wird von Influencern und Coaches als Ideal verkauft: Ein Leben, das Unabhängigkeit und materiellen Reichtum verherrlicht, während das Miteinander in den Hintergrund rückt. So wird aus dem vermeintlichen Traum vom Paradies schnell ein Ego-Trip – ähnlich wie im Märchen „Das kalte Herz“, in dem der Protagonist sein Herz für Reichtum gegen einen Stein eintauscht und am Ende feststellt, dass er das Wertvollste verloren hat.(Film im ZDF, Analyse auf Wikipedia)

Trend „Steuerfrei leben“ – Bewusst entscheiden, wen wir fördern

Ob und inwieweit wir selbst diese Lebensmodelle unterstützen, bleibt eine persönliche Entscheidung. Es muss nur klar sein: Wenn wir Produkte und Dienstleistungen von Menschen kaufen, die sich bewusst aus dem Solidarprinzip herausziehen, fördern wir diese Einstellung. Jede Kaufentscheidung ist letztlich auch eine Wertentscheidung (oder sollte es bestenfalls sein), und vielleicht lohnt sich die Überlegung, ob wir unser Geld lieber in Modelle und Produkte investieren, die uns wirklich bereichern und tiefergehende Bedürfnisse ansprechen.

Hinter dem Traum von Wohlstand oder Status stehen nicht selten ganz andere Bedürfnisse. Die Idee vom steuerfreien Leben im Ausland hört sich zwar wie beschrieben für viele Menschen nach einem attraktiven Lebensmodell an, aber häufig führt das Vorhaben am Ende über Umwege und hohe Kosten doch nur zurück mit der Einsicht, dass es letztlich nicht ums Geld ging, sondern um den Wunsch nach Selbstwert und Zufriedenheit.

Weiterführende Links und Informationen

Titelfoto: Moon / Unsplash

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Geschrieben von
Ute Kranz

Als Gründerin und Inhaberin dieses Reiseblogs teile ich seit 2013 meine Begeisterung fürs Reisen und eine bewusste Lebensgestaltung. Seit einigen Jahren beschäftige ich mich zudem verstärkt mit gesellschaftlich relevanten Themen.

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