Zuletzt aktualisiert am 7. Juli 2020
Wäre das Leben ein Computerspiel, hätte ich mir Ende letzten Jahres die Vorschau für das Level 2019 angesehen und das Spiel daraufhin kurzerhand gelöscht. Mein Leben sollte weiterhin aus einer Aneinanderreihung von schönen Momenten bestehen und beim Anblick der bevorstehenden Herausforderungen wäre meine Wahl definitiv auf ein leichteres Spiel gefallen.
Im wirklichen Leben hingegen kann man manchen Dingen nicht mal eben ausweichen. Auch fällt es schwer einzusehen, dass Probleme und einschneidende Erlebnisse manchmal große Chancen mit sich bringen können. Und in diesem Fall nahm das Schicksal seinen Lauf, als Anfang April bei meiner Mutter zum zweiten Mal Krebs festgestellt wurde. Diesmal bösartig und ohne Aussicht auf Heilung.
Dankbar, durch meine Selbstständigkeit alles Berufliche absagen zu können, habe ich Tag für Tag der uns verbleibenden 2 ½ Monate versucht, ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Die eigene Mutter beim Sterben zu begleiten erfordert viel Kraft und doch ist diese gemeinsame Zeit so unglaublich wertvoll, weil spätestens hier die Gewissheit eintritt, dass sie unwiederbringlich und zugleich endlich ist.

In diesen gefühlsintensiven Wochen wurde mir wieder bewusst, wie unwichtig Besitz und andere Statusdinge sind. Wir kommen mit leeren Händen auf diese Welt und verlassen sie auf die gleiche Weise. Nichts von dem, was wir uns mental oder physisch aneignen, können wir mitnehmen. Daher bleibt uns nur, den Moment zu leben: lieben, lachen, füreinander da sein und uns gegenseitig helfen und beistehen.
Ein neuer Lebensabschnitt: Leben ohne Eltern
Mein Vater ist bereits vor über zwanzig Jahren verstorben und wenn dann auch die Mutter nicht mehr da ist, weiß man endgültig, dass man kein Kind mehr ist. Und gerade in der letzten Zeit kam nochmals eine große Dankbarkeit auf. Normaler Weise hätte die intensive Zeit im Krankenhaus und das Abschiednehmen die einzigen zu bewältigenden Herausforderungen darstellen sollen, aber es sollte anders kommen.
Mit zwei von drei Geschwistern ist ein Kleinkrieg ausgebrochen. Abwertung, Ausgrenzung, Misstrauen – wenn innerhalb der Familie aus Zusammenhalt plötzlich Hinterhalt wird, zieht einem das den Boden unter den Füßen weg. Hier ging es eben nicht mehr um eine heitere Familienfeier, sondern um Verantwortung und gemeinschaftliches Handeln, wovon wir überraschend unterschiedliche Vorstellungen hatten.
Mit der geballten Ladung an unterschiedlichsten Gefühlen gilt es umzugehen lernen. Als ich feststellte, dass weder Rückzug noch Wut die Lösung waren, habe ich mir die Situation psychologisch erklären lassen. Mit diesem Wissen wurde das Loslassen leichter, aus Ärger ergab sich Verständnis und für mich galt es wieder nach vorne zu schauen. Worin lagen nun die Chancen in dieser unerfreulichen Situation?
1. Mut zum Anderssein
Mit etwas Abstand und einem anderen Blick auf die Situation lässt sich aus meiner Familienkonstellation viel leichter erklären, warum ich in vielen Dingen ganz anders bin als meine Geschwister. Ich habe mich lange dafür verurteilt, vermeintlich “komisch” oder Außenseiter zu sein – keine eigene Familie zu haben, allein zu reisen, ein sehr individuelles Leben zu führen, nicht alles auf Sicherheit aufzubauen usw.
Jetzt, wo ich sozusagen den Familientopf verlassen kann, fühle ich mich viel freier. Mir war nicht bewusst, wie sehr ich doch noch in dem familiären Konzept steckte, das zahlreiche Glaubenssätze mit sich brachte: bescheiden, brav und korrekt sein, keine Schwächen zeigen, nicht auffallen, besser nachgeben als diskutieren, der Mann entscheidet, man muss Kinder haben, künstlerische Arbeit bringt kein Geld usw.
Mit dieser mentalen Freiheit muss ich keine langjährig konditionierten Kriterien mehr erfüllen oder mich des lieben Frieden willens anpassen, sondern kann genauso leben und agieren wie es für mich stimmig ist – ohne das Gefühl haben zu müssen, nicht “normal” zu sein. Ich habe eine sehr gute Erziehung genossen, aber einiges ist für meinen Lebensweg schlichtweg nicht (mehr) passend.
2. Sich selbst besser kennenlernen
In dieser Phase, in der situationsbedingt starke Selbstzweifel an die Tür klopften, begab ich mich auf die Suche nach hilfreichen Ratgebern. Und hier fand ich plötzlich auf fast alles eine Antwort, die mein “Anderssein” betrifft: Ich bin introvertiert! Hochsensibilität wurde mir schon vor etwa sieben Jahren bescheinigt und nun auch noch das. Aber…
Die Gewissheit zu haben, dass man nichts an sich ändern muss, um als “normal” zu gelten, ist unglaublich entspannend: Ich muss also nicht vor die Kamera, obwohl es in meinem Job hilfreich wäre. Es ist vollkommen okay, wenn ich nur einen kleinen Freundeskreis habe. Und ich muss mich nicht seltsam fühlen, weil ich viel Ruhe und Rückzug brauche und wahnsinnig gerne alleine bin.
Auch muss ich mich nicht mehr ärgern, wenn ich für meine Begriffe viel zu lange brauche, bis ich Entscheidungen treffe. Oder dass ich mich in großen Menschenmengen nicht wohl fühle und ungern in Gruppen unterwegs bin. Einmal vergegenwärtigt ist es an der Zeit, die Stärken dieser Persönlichkeits-Eigenschaft auszuleben. Aus Selbst-Verurteilung kann jetzt jede Menge Selbst-Freundschaft werden!
3. Mut zum Umbruch
So traurig der Verlust der Eltern ist, der letzten Endes auf die meisten von uns irgendwann einmal zukommt, muss man nach vorne schauen. Vor 5 ½ Jahren habe ich Köln, meinen Job und meine Wohnung zum ersten Mal für meine Weltreise verlassen und nun wird es bald wieder so weit sein. Seit meiner Rückkehr bin ich mit der Großstadt nicht mehr richtig warm geworden.
Im Laufe der Jahre habe ich inzwischen schätzungsweise 80% von Deutschland kennengelernt (einige Berichte hierzu: Harz, Mecklenburg-Vorpommern, Wendland, Süddeutschland, Norderney) und lange überlegt, wo es mir am besten gefallen könnte. Und mittlerweile ist klar: Ich muss aufs Land! Die Gründe sind vielfältig und fasse ich mal in einem separaten Beitrag zusammen.
Es wird jedenfalls Zeit wieder in eigene vier Wände zu ziehen. Daher habe ich mein Büro in Köln gekündigt, d. h. bis 1. März muss ich eine neue Bleibe gefunden haben. Für viele mag das ungewöhnlich klingen; für mich ist es lediglich meine ganz eigene Art, mir selbst Druck zu machen. Außerdem liebe ich es, mein Leben in die Hände des Schicksals zu legen.
Ein Blick in die Zukunft – Level 2020
Auch beruflich muss ich einiges verändern. Mittlerweile beziehe ich mein Haupteinkommen über Pressereisen. Das Problem ist hierbei allerdings, dass die meisten Reisen überhaupt nicht (mehr) zu mir passen. Über mehrere Tage mit jeweils 12-14 Stunden täglich in ein Programm gepresst zu werden, das oftmals nicht auf meinen Blog abgestimmt ist, entzieht mir jegliche Reiseleidenschaft.
Zudem möchte ich das ultraschnelle Reisen nicht mehr unterstützen. Ökonomisch seitens des Auftraggebers natürlich verständlich, nur muss man bedenken, dass z. B. eine Woche alleine mit einem Camper intensiv durch Deutschland kurven so viel CO2 verballert wie ein Hin- und Rückflug nach Portugal. Daher hoffe ich, mit Agenturen und Tourismusämtern zukünftig Projekte anders umsetzen zu können.
Seit meinem Ausstieg habe ich an meinem Ziel, mit dem geringstmöglichen Aufwand die größtmögliche Wirkung zu erzielen, festgehalten (Anregung kam aus dem Buch von Luisa Francia) und es hat bislang überraschend gut funktioniert. Ich habe mir einen wahnsinnig tollen Alltag eingerichtet, der zwar keine großen Sprünge erlaubt, mir aber den größten Luxus beschert: Zeit zu haben!

Wenn ich keine regelmäßigen Pressereisen mehr unternehmen, aber dennoch meinen entspannten Alltag beibehalten möchte, bleibt mir eigentlich fast nur eine Möglichkeit: (gute) Bücher schreiben. Aber auch das ist gar nicht so einfach, denn mit Verlagen zusammenzuarbeiten hat seine Vor- und Nachteile. Daher möchte ich mein nächstes Buch gerne selbst produzieren, aber dazu irgendwann einmal mehr.
Natürlich bleibe ich weiterhin flugfrei (inzwischen seit über einem Jahr und easy) und im nächsten Jahr werde ich mehr in den öffentlichen Medien und auf Diskussionsveranstaltungen präsent sein, was ich in diesem Jahr vermieden habe. So werde ich zum Beispiel im Mai mit unserer Bundesumweltministerin über umweltfreundliches Reisen (Link zur Konferenz) sprechen können.
Aber auch meinem Life-Magazin möchte ich wieder Leben einhauchen. Genau wie mit diesem Beitrag hier möchte ich mich dort von den ständigen Friede-Freude-Eierkuchen-du-musst-immer-glücklich-sein-sonst-stimmt-was-nicht-Posts im Netz distanzieren, da uns das immer mehr von der Realität wegbringt.
Dankeschön für deine Zeit diesen Beitrag zu lesen! Ich wünsche dir eine tolle Weihnachtszeit und alles Liebe und Gute für das Neue Jahr!