Um 4:30 Uhr morgens ging es los: 30 Minuten Fahrt zum Ausgangspunkt und nun warteten 3 km anstrengender Aufstieg bis zum Krater-Plateau in 2.400 m Höhe auf uns. Da diesem Krater im Lonely Planet lediglich ein paar Zeilen gewidmet wurden, waren wir beim mühsamen Aufstieg nicht mehr so sicher, ob das hier wirklich so eine gute Idee war. Als wir nach 500 überwundenen Höhenmetern endlich oben ankamen und den beeindruckenden Kratersee erblickten, wurden unsere Zweifel allerdings schnell zur Gewissheit.
Das hier war nicht nur eine gute, sondern eine sehr gute Entscheidung! Doch als das eigentliche Besondere dieses Ortes stellte sich etwas völlig anderes heraus als das türkisblaue Nass. Bereits während des Aufstiegs fragten wir uns, was für ein komisches gelbes Zeug am Wegesrand herumstand. Kurze Zeit später kamen uns in regelmäßigen Abständen Männer entgegen, die diese seltsamen gelben Brocken in Körben auf der Schulter hinab trugen.
Wir verstanden gar nichts mehr, was hatte das mit dem Kratersee zu tun? Nebel, Kälte und diese unebenen Wege erschienen nicht gerade optimal, um dieses uns unbekannte Zeug in Flip Flops, Gummistiefeln oder ausgelutschten Sandalen durch die Gegend zu schleppen. Als wir weitere Hintergründe erfuhren, kamen wir aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Die kleinen und zum Teil schmächtigen Jungs trugen durchschnittlich 80 kg auf ihren Schultern, und das nicht nur über die 3 km lange Strecke bergab vom Kratergipfel bis zum Parkplatz, sondern auch noch von der am Kratergrund befindlichen Mine bis zur Wiegestelle (100 Höhenmeter). Das sind insgesamt mal eben 2 bis 3 Stunden Tragezeit unter extremsten Bedingungen.
Der Weg bis zum Grund des Kraters war selbst für uns ohne Gewichte mehr als beschwerlich. Große Steine, steile hohe Stufen und glitschige enge Wege behinderten den langen Weg nach unten. Üble Fäulnisgerüche gerieten in regelmäßigen Abständen in unsere Nasen und nahmen uns im wahrsten Sinne des Wortes die Luft zum Atmen. Die Augen begannen zu schmerzen und tränen.
Geologen bezeichnen diesen Krater als das größte Säurefass der Erde, wie ich später gelesen habe. Die Rede ist von Schwefelsäure. Aus dem See steigen regelmäßig giftige Gase aus. Wie würde sich der Aufenthalt an diesem Platz auf unsere Gesundheit auswirken? Besser nicht drüber nachdenken… Bei dem Abbau des Schwefels in extremen Temperaturen von bis zu 200°C riskieren die Arbeiter ihre Gesundheit. Aber viele haben keine Wahl, sie finden sonst keine Arbeit.
Wir standen inmitten einer gelben Horror-Hölle. Ich hatte das Gefühl, meine Lungen würden verkleben. Trotz des Atmens durch meinen Schal. Hustenanfälle überkamen mich. Und dennoch war es hier unglaublich aufregend. Eine orangefarbene Flüssigkeit läuft dampfend durch große Metallrohre aus dem Berg und wird nach kurzer Zeit zu einem festen Material, das sich gelb färbt.
Die Arbeiter packen die Schwefelstücke in die Tragekörbe und los geht für die Träger der beschwerliche und weite Weg bis zur Straße, wo sie ihr Geld für das Sulfur in Empfang nehmen können. Wozu der Schwefel am Ende verwendet wird, konnten wir nicht endgültig klären. Unser Guide meinte, dass man damit Zucker weißen würde. Ob das stimmte, war unklar.
Man sagt, es sei der gefährlichste Arbeitsplatz der Welt. Die durchschnittliche Lebenserwartung der Schwefelarbeiter beträgt etwa 40-50 Jahre, manche sterben bei diesen hohen Gefahren schon früher. Und das für einen für unsere Verhältnisse unfassbar geringen Tageslohn von etwa 7 €, von dem sie knapp die Hälfte an die Schwefelbrecher im Vulkan abgeben müssen. Permanent dachten Mareike und ich über mögliche Alternativen für den Abbau und Transport des Schwefels nach.
Warum gab es hier noch keine Seilbahn, Flaschenzug, Pferde oder irgendetwas mit Rädern? Der ganze Prozess war unserer Meinung nach zu antiquiert und besonders diese extreme gesundheitliche Belastung für die Arbeiter unten an der Schwefelmine und die Träger (Lunge, Rücken, Schultern) machte uns zu schaffen. Die meisten von ihnen hatten allerdings immer ein Lächeln im Gesicht oder einen lustigen Spruch auf der Zunge, was irgendwie nicht zu dieser harten Arbeit passen wollte.
Das Tempo, mit dem diese Jungs ihr schweres Gut bergauf und bergab über Stock und Stein trugen, war faszinierend. Bei ihren kleinen Schritten wippt das Holz auf ihren Schultern, was ihnen durch Milisekunden in der Luft offensichtlich ein wenig Entlastung verschafft. Die Schwefelstücke kommen durch diese Bewegung aneinander und verursachen dabei quietschende Geräusche. Es hört sich an wie leichter Styropor, ist jedoch zum Leidwesen der Träger um ein Vielfaches schwerer.
Auf dem Weg ins Tal befindet sich auf der Hälfte der Strecke bergab eine Wiegestation. Hier hängen die Träger ihre Körbe an eine alte Waage und bekommen an der Kasse eine Bestätigung für das getragene Gewicht in Form einer Quittung. Das Geld erhalten sie dann unten bei der Beladung des LKW. Es war und ist für uns nach wie vor unverständlich, dass dies hier ein beliebter Job zu sein scheint. Das früheste Eintrittsalter ist 13 Jahre mit einem Anfangsgewicht von 40 kg.
Während die 3 km lange Strecke heute früh bergauf zwar mühsam, aber machbar war, gestaltete sich der Rückweg als Tortur. Die kleinen Steine auf den steilen Wegen produzierten eine Art Schlitterpartie und das ständige Ausweichen für die Träger machte es nicht gerade leichter. Viele rutschten aus und besonders ältere Besucher hatten massive Probleme mit dem Abstieg.
Unterwegs konnte ich es mir nicht verkneifen, einen Arbeiter nach dem Zustand seiner Schultern zu fragen: Narben ohne Ende. Aber dies sind nur die äußeren Beeinträchtigungen. Kaum vorzustellen, wie die Lungen eines Schwefelbrechers unten an der Mine aussehen, der tagtäglich die giftigen Gase einatmet. Eindrücke, die man erst einmal verarbeiten muss.
Wie sich später herausstellte, war dieser Sonntag der beste Tag für den Besuch des Kraters Ijen, denn heute waren lediglich 40 Arbeiter vor Ort, während an einem normalen Werktag bis zu 200 Mann das Material die Berge rauf und runter schleppen, was den Auf- und Abstieg für die Besucher nochmals extrem erschwert und deutlich verzögert.
Zurück im Auto dauerte es nicht lange, bis wir auf der Rücksitzbank in einen tiefen Schlaf fielen. Es ging wieder einige Stunden lang zu unserem nächsten Ziel, dem Mount Bromo Tengger Nationalpark. Bei anbrechender Dunkelheit erreichten wir den Ort Cemoro Lawang, wo wir in einem kleinen Hostel namens Cafe Lava untergebracht wurden. Der Preis war in unserer Tour inbegriffen.
Morgen früh würden wir schon wieder zu einer unmenschlichen Zeit aufstehen müssen, um den Sonnenaufgang über Mount Bromo sehen zu können. Auch steht der Anstieg auf den Kraterrand an. Danach würde schon der Rückweg nach Surabaya anstehen, wodurch wir nun für den bevorstehenden Sonnenuntergang zum Ausgangspunkt im Ort hechten mussten.
Die Fläche um das Tengger-Vulkan-Massiv herum wirkt wie eine schwarze Wüste. Der Mt. Bromo ist der aktivste Vulkan auf Java. Vor zwei Jahren wurde der Krater in einem Umkreis von 2 km monatelang gesperrt, da sich gefährliche vulkanische Aktivitäten angekündigt hatten. Erfreulicher Weise ist der Nationalpark inzwischen wieder geöffnet und wir freuten uns schon auf den morgigen Tag.
Der Sonnenuntergang über dem Vulkan war mystisch. Selten habe ich ein derart intensives, gelbgrünes Abendlicht zu Gesicht bekommen und in Kombination mit dem Nebel und blattlosen Bäumen war das ein unglaublich faszinierender Anblick. Jetzt konnten wir es nicht mehr abwarten, mit dem Jeep durch dieses schwarze Meer aus Sand zu fahren.
Frühes Einschlafen sollte uns heute bei den intensiven, aufregenden Erlebnissen nicht schwer fallen. Hier war es auch deutlich kühler als in Surabaya, wodurch wir in unserem kleinen Zimmer in der Holzhütte eine kuschelige Nacht haben würden.
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