Seit Jahren wächst die Zahl der Menschen, die sich einsam fühlen. Besonders seit der Corona-Pandemie betrifft es immer häufiger auch junge Menschen. Und dann sind da noch diese vielen Unsicherheiten, die unser Leben in den letzten Jahren geprägt haben. Kann und sollte man heute noch alleine verreisen?
Bevor ich dir meine Beweggründe im Detail nenne, möchte ich dir zunächst mein ganz deutliches „JA!“ zurufen. Auch ich habe mich gefragt, ob ich mit meinen Empfehlungen für das Alleinreisen nicht vielleicht sogar Einsamkeit und Alleinsein fördere. Hierfür habe ich mir alle relevanten Bücher durchgelesen und seitdem bin ich mir sicher, dass sogar das Gegenteil der Fall sein kann.
Einsamkeit ist ein subjektives Gefühl. Unsere Art, auf das zu reagieren, was uns begegnet, entscheidet darüber, ob wir uns einsam fühlen oder nicht, und auch darüber, wie schnell wir die Einsamkeit durchbrechen können.
aus dem Buch „Einsam“ von Dr. Eva Wlodarek, Dipl.-Psychologin
Warum fühle ich mich überhaupt einsam?
Während der Einarbeitung in das Thema Einsamkeit habe ich mich gefragt, warum ich mich so selten einsam fühle, obwohl ich wirklich viel allein unternehme. Als Introvertierte brauche ich sogar in Partnerschaften jede Menge Rückzug und Zeit für mich allein. Die meisten Momente der Einsamkeit hatte ich wider Erwarten nicht an irgendwelchen einsamen Orten auf Reisen, sondern in meinen Partnerschaften in Situationen, die mir ein „nicht verbunden“ signalisierten.
Solange wir mit anderen Kontakt haben – und das ist auch auf die innere Begegnung bezogen – hilft uns ihre Zuneigung und Liebe, zu vergessen, was wir in Wirklichkeit sind: Einzelwesen. Erst die Einsamkeit macht uns das wieder deutlich.
aus dem Buch „Einsam“ von Dr. Eva Wlodarek, Dipl.-Psychologin
Bedingt durch die Tatsache, dass Einsamkeit in der Gesellschaft auch heute noch mit einem Makel behaftet ist, setzen Betroffene laut Dr. Wlodarek zum Selbstschutz sogenannte Masken auf. Einsamkeit wird dann zum Beispiel kaschiert durch Workaholismus, Statussymbole oder ein besonders aktives Auftreten. Das Problem dabei ist nur, dass diese Masken nichts ändern. Sie kaschieren lediglich das Symptom, beheben aber nicht die Ursache.

Was wäre der Einsamkeits-Worst Case auf einer Alleinreise?
Wenn ich besonders in den letzten Jahren etwas sehr deutlich gelernt habe, dann ist es die Tatsache, dass die meisten Zweifel vor etwas Unbekanntem unbegründet sind. Unser Kopfkino malt sich alle möglichen, meistens negativen Szenarien aus. Natürlich bleiben wir eher an den problematischen Aspekten hängen als bei den schönen Möglichkeiten.
Zum Glück sind wir der Reiseplanung nicht hilflos ausgeliefert. Wir können durch die Wahl des Reiseziels und der Reiseart sehr gut steuern, was uns erwartet. Hier ein paar Beispiele:
- Europäische Großstadt im Hotel: Ähnliche Situation wie zu Hause, keine Sprachumstellung, Ablenkung draußen lässt sich leicht finden, Reisende um einen herum, Telefonieren und Chatten jederzeit möglich, Verlaufen in der Stadt dank Smartphone fast ausgeschlossen. Das Risiko von Einsamkeit ist sehr gering.
- Hostel, Jugendherberge, Privatzimmer AirBnb: Gleichgesinnte und Nachbarn vor Ort, auf Wunsch viel Austausch, gemeinsame Unternehmungen oder Teilnahme an Events möglich. Das Risiko von Einsamkeit ist sehr gering.
- Vanlife: Klingt auf Social Media extrem verlockend, bietet in der Realität jedoch oft sehr wenig Kontaktmöglichkeiten. Campingplätze sind meistens von Paaren belegt, einsame Landschaften und Übernachtungen auf Parkplätzen können Angst auslösen, geringe Komfortzonen und mögliche Technikprobleme können schnell überfordern. Das Risiko von Einsamkeit ist ziemlich hoch.
- Ferienwohnung in Alleinnutzung: Wirkt wie eine 1:1 Situation zu Hause, aber täuscht. Kontakt zu anderen ist oft gleich null, besonders in Wohngebieten. Manchmal lange Wege in die Stadt, Alleinlage kann nachts Ängste auslösen. Risiko von Einsamkeit mittel bis hoch.
- Cluburlaub: Wenn der Club auf Alleinreisende spezialisiert ist, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit auf viele Kontakte. Achtung bei Schulferien, wenn viele Familien anwesend sind. Risiko von Einsamkeit insgesamt gering bis mittel.
- Fernreise: Je besser die Vorbereitung, desto geringer das Risiko von Einsamkeit. Wer sehr spontan reist und wenig plant, läuft eher Gefahr, sich unterwegs verloren zu fühlen. Beliebte Social Media Reiseziele bieten eine hohe Chance, Gleichgesinnte zu treffen. Hostels sind hier tendenziell besser als Hotels. Risiko von Einsamkeit je nach Ziel und Planung sehr unterschiedlich.
Vanlife und Ferienwohnungen empfinde ich persönlich als die größten Herausforderungen in Sachen Einsamkeit. Ebenso Länder wie Japan oder China, wo spontane Kontakte schwerer entstehen. Die wichtigste Frage im Vorfeld bleibt: Wovor habe ich eigentlich Angst, wenn ich an das Gefühl der Einsamkeit denke?
Was soll schon passieren, außer dass ich mich vielleicht mal für eine kurze Zeit unwohl fühle?
Meistens sind es nur kurze Momente der Einsamkeit, die – wie andere Gefühle auch – einfach kommen und wieder gehen. Gerade heute, wo auf Social Media oft der Eindruck entsteht, wir müssten immer glücklich und erfolgreich sein, fällt es schwer, solche unangenehmen Gefühle einfach anzunehmen. Dabei gehört genau das zu einem gesunden, echten Leben dazu.

Warum eine Alleinreise sogar heilsam sein kann
Wenn ich unterwegs spüre, dass Einsamkeit hochkommt, frage ich mich: Was brauchst du gerade? Manchmal ist es Einfühlung, manchmal einfach ein bisschen Trost oder Geduld. Gerade wir Frauen tendieren oft dazu, uns selbst gegenüber zu streng zu sein. Solche Momente erinnern mich daran, verständnisvoller und liebevoller mit mir selbst zu sein.
Auch das Thema Näheangst spielt eine Rolle. Wer in Kindheit oder später durch Trennung oder Verlust tief verletzt wurde, schützt sich oft durch emotionale Distanz.
Alleinreisen bietet hier viele Chancen:
- Ohne Maske reisen: An einem fremden Ort können wir neu anfangen. Wir können uns ausprobieren, neue Facetten entdecken, mutiger oder freier sein als zu Hause.
- Raus aus der Komfortzone: Wer nach einer Trennung oder schwierigen Zeit reist, kann durch neue Erfahrungen wieder Vertrauen ins Leben finden. Klar kostet es Überwindung, aber es lohnt sich so sehr.
- Vergleiche beenden: Reisen hilft, den ständigen Vergleichsstress von Social Media hinter sich zu lassen. Man begegnet Menschen von Herz zu Herz. Nicht über Filter oder Perfektionsfassaden.
Besonders schmerzlich empfinden wir Einsamkeit, sobald wir uns mit anderen vergleichen. […] Ein grundlegendes Gefühl, nicht zu genügen, erzeugt Einsamkeit.
aus dem Buch „Einsam“ von Dr. Eva Wlodarek, Dipl.-Psychologin
Einsamkeit, soll ich es trotzdem wagen?
Nach allem, was ich über Einsamkeit gelesen und erlebt habe, ist sie kein Zeichen von Schwäche. Sie ist ein stiller Ruf nach Veränderung. Manchmal ist es der erste Schritt, Hilfe zu suchen. Und manchmal reicht ein kleines bisschen Mut, um etwas Neues zu wagen.

Nach über zwanzig Jahren Alleinreisen kann ich dir versichern:
Jede Alleinreise verändert dich.
Manchmal stark, manchmal subtil. Aber immer auf eine ganz besondere Weise.
Ich wünsche dir den Mut und die Freude, dein eigenes Abenteuer zu beginnen.
Die Verbindung zwischen uns und den anderen ist nie abgeschnitten, wir glauben es nur in manchen Phasen. Und darin liegt unsere große Chance. Wenn Einsamkeit eine Illusion ist, die allein in unserem Denken und in der Folge davon auch in unserem Fühlen existiert, liegt es in unserer Hand, etwas daran zu ändern.
– aus dem Buch „Einsam“ von Dr. Eva Wlodarek, Dipl.-Psychologin
Quellen und Links
- Umfrage-Ergebnisse zu Einsamkeit: „Ich fühle mich einsam“ – ein Grundgefühl in Deutschland?
- Ein großartiger Ratgeber: „Einsam“ von Dr. Eva Wlodarek (Amazon-Affiliate-Link)
- NWZOnline: Menschen fühlen sich weltweit immer unsicherer
- Quarks Youtube: Einsamkeit – Ein gefährliches Gefühl?
Hallo Ute,
ich wollte Dir einmal für deinen schönen und unaufgeregten Schreibstil danken. Und dass du Dir so viel Zeit für deine Artikel nimmst. Deinen Blog lese ich schon seit immer und habe noch nie einen Rechtschreibfehler gesehen. Das ist ziemlich einmalig.
Liebe Grüße
Dirk
Ich würde gern mal verreisen aber habe zu viel Angst falsch zu machen .Ich bin von geb.an Hörbehindert und weiß nicht viel wie es abläuft. Kein Auto , kein Partner mehr wegen .viel Reinfall Benutzung Betrug von Partnern.
Liebe Kerstin,
vielen Dank, dass du deine Gedanken und Erfahrungen teilst. Es klingt, als ob du schon einiges hinter dir hast, und ich verstehe, dass das den Schritt zum Alleinreisen schwierig erscheinen lässt. Vielleicht könnte ein kleiner Anfang helfen, der nicht gleich so überwältigend ist – zum Beispiel ein Kurztrip mit öffentlichen Verkehrsmitteln in eine nahegelegene Stadt oder ein Ort, der dich interessiert. Es gibt mittlerweile auch viele Reiseanbieter und Unterkünfte, die auf Barrierefreiheit achten und dir bei der Planung helfen könnten.
Was das “falsch machen” angeht: Das gehört irgendwie zum Reisen dazu – jeder macht mal Fehler, aber genau das macht oft die spannendsten Geschichten aus. Und das Wichtigste ist, dass du es in deinem Tempo angehst. Es muss nicht perfekt sein, sondern sich für dich gut anfühlen.
Ich wünsche dir ganz viel Mut und Freude, wenn du den ersten Schritt wagst. Ich bin sicher, dass du schöne Erfahrungen machen wirst!
Liebe Grüße,
Ute